Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
Vom Netzwerk:
jetzt nur noch eins, Monsieur: Ich mache Ihrem ehelichen Sohn Platz, ohne Zaudern. Er soll all das besitzen, was ich ihm – ohne eigenes Verschulden – vorenthalten habe.«
    Diese Haltung der Entsagung war gar nicht nach dem Geschmack des Alten. Er lief rot an, hieb mit der Faust auf die Sessellehne und rief: »Aus diesen Phantastereien wird nichts, komme, was da kommen mag. Alles bleibt, wie es ist. Du bleibst der Graf de Commarin, wenigstens bis zu meinem Tod. Dann kann ich dich ja nicht mehr hindern ...«
    Â»Monsieur ...«
    Â»Halt den Mund! Deine Skrupel sind mir schnuppe. Ich weiß selbst, daß großes Unrecht geschehen ist. Ich weiß es seit dem Tag, an dem ihr vertauscht wurdet, und zwanzig Jahre lang habe ich mir deswegen Herz und Hirn zermartert, habe ich das Unrecht verflucht, dessen Opfer mein wirklicher Sohn geworden ist. Doch ich bin darüber hinweggekommen, und ich denke nicht daran, all meine Anstrengungen in den Wind zu schlagen wegen deiner Sentimentalitäten. Nie!«
    Albert wagte kein Wort der Widerrede, als der Graf erschöpft innehielt. Die Angst vor seinem Vater war ihm von Kindheit an eingebleut worden.
    Â»Soll ich dich von morgen an verleugnen?« fuhr der Graf fort, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. »Soll ich Paris diesen Noël als meinen Sohn vorstellen? Soll ich erklären, da sei ein kleiner Irrtum im Spiel? Soll ich den Leuten weismachen, ich hätte meinen eigenen Sohn nicht erkannt, ihnen gestehen, einen Bastard großgezogen zu haben? Du stammst nicht von Krethi und Plethi, du trägst den Namen Commarin, und wer auch nur einen Tag so heißt, heißt sein ganzes Leben so. Basta. Komm mir nicht mit Gerechtigkeit. Die gibt es nur da, wo auch gleiche Pflichten erfüllt werden müssen. Wir haben einen Rang, eine Stellung zu verteidigen. Derartige Irrtümer sind für unsereinen tödlich. Sei kein Dummkopf! Erweise dich deines Namens würdig.«
    Â»Und die Stimme des Gewissens?«
    Â»Gewissen?« fragte der alte Graf verblüfft. »Plötzlich drückt dich dein Gewissen? Zu spät, mein Sohn! Oder willst du mich jetzt im Stich lassen, weil der Name Commarin dir mit Schuld beladen zu sein scheint, von einem Verbrechen befleckt? Bring dein Gewissen zur Ruhe. Sag dir, daß Kinder nicht für das verantwortlich sind, was ihre Eltern tun. Sie haben nur zu gehorchen. Und das heißt in diesem Fall: Du hast die Last gemeinsam mit mir zu tragen.«
    Â»Aber Noël Gerdy, was wird der dazu sagen? Er hat doch schließlich die Angelegenheit ins Rollen gebracht?«
    Â»Ach ja, Noël ...«
    Der Graf wurde nachdenklich.
    Â»Der rechtmäßige Erbe Ihres Namens, Monsieur. Von mir hängt der Ausgang der Affäre nicht ab. Noël wird sein Recht fordern, den können Sie nicht zum Schweigen bringen. Er lebt in dem Bewußtsein, daß ihm ein großes Unrecht angetan worden ist. Und entweder wird er sich rächen wollen, oder er erwartet eine Wiedergutmachung.«
    Â»Er hat keine Beweise.«
    Â»Und ihre Briefe?«
    Â»Die sind nicht vollständig.«
    Â»Mag sein, Monsieur. Aber haben sie nicht sogar mich überzeugt, der ich doch gar kein Interesse daran haben konnte, überzeugt zu werden? Und was ist, wenn er Zeugen beibringt?«
    Â»Zeugen? Wen denn?«
    Â»Sie zum Beispiel. Gesetzt den Fall, er bringt Sie vor Gericht und läßt Sie unter Eid aussagen ...«
    Commarin zögerte mit einer Antwort, kämpfte offensichtlich mit seinem Ehrgefühl. Dann entschied er: »Der Name meines Geschlechts hat Vorrang. Ich würde ihn reinhalten.«
    Â»Auch durch eine Lüge?« Albert wollte die Entscheidung des Grafen nicht akzeptieren. »Das kann ich nicht glauben. Gesetzt den Fall, Sie ließen sich zu einer Lüge hinreißen. Würde Ihnen das nützen? Noël würde Madame Gerdy als Zeugin aufbieten.«
    Â»Sie wird nicht gegen mich aussagen; sie ist ja selber in die Sache verwickelt. Wenn es nötig ist, suche ich sie auf. Ja«, setzte er hinzu, als sei ihm plötzlich ein Geistesblitz gekommen, »ich spreche mit ihr. Und ich halte jede Wette, daß sie uns nicht in den Rücken fallen wird.«
    Â»Und was ist mit Claudine Lerouge?« wollte Albert wissen. »Wie wollen Sie sich ihrer versichern?«
    Â»Mit Geld natürlich. Ich werde ihr jede Forderung erfüllen.«
    Â»Erkauftes Schweigen ist unsicheres Schweigen«, gab Albert zu

Weitere Kostenlose Bücher