Der Fall Lerouge
bedenken. »Wenn jemand ihr mehr bietet, wird sie gegen Sie auftreten.«
»Das ist unser Risiko.«
»Und denken Sie daran, daà Claudine Lerouge Noëls Amme war und daà sie ihn liebt. Vielleicht war sie es sogar, die ihn auf die Spur gebracht hat. Ich traue der Alten nicht. Wir waren ja schon einmal bei ihr in Bougival. Sie war mir nicht sonderlich sympatisch. Und Noël scheint sie schon öfter aufgesucht zu haben. Jedenfalls tat er so, als sei er ihrer sicher, und er hätte mir beinahe vorgeschlagen, sie aufzusuchen, um sich bei ihr zu informieren.«
»Warum ist nur Germain, mein treuer Diener, tot«, rief der Graf voller Selbstmitleid, »und nicht Claudine statt seiner!«
»Claudine ist der Stein, über den Sie leicht stolpern können«, sagte Albert.
»Ich stolpere nicht!« Der Graf war nicht gewillt, den Vorstellungen seines Sohnes Platz in seinen Ãberlegungen einzuräumen. Wenn es um seinen Namen und seine Familie ging, blieb er blind und taub gegenüber vernünftigen Einwänden.
»Sie wollen nur nicht, Monsieur«, sagte Albert nach einer Weile des Schweigens, »daà Sie und Ihr Name in einen Skandal verwickelt werden. Doch wird der noch gröÃer, wenn wir Noël nicht zufriedenstellen. Ist Ihr Name erst einmal vor Gericht, dann wird ganz Europa von einem âºFall Commarinâ¹ sprechen, und ganz gleich, wie das Urteil ausfällt, die Zeitungen werden Sie durch die Spalten schleppen.«
»Sprich nicht so zu mir!« forderte der Graf. »Das zeugt von erschreckend wenig Achtung vor deinem Vater.«
»So mit Ihnen zu sprechen ist meine Pflicht. Ich muà Sie auf die möglichen Folgen aufmerksam machen und Sie darauf hinweisen, daà wir sie noch abwenden können. Akzeptieren Sie Noël Gerdys Ansprüche, erklären Sie, ein Irrtum der Amme habe die Verwechslung verschuldet, und wenn alle Beteiligten sich einig sind, kann jeder Eklat vermieden werden. Der neue Graf de Commarin würde sodann Paris für einige Zeit â sagen wir vier oder fünf Jahre â verlassen, und wenn er nach Ablauf dieser Frist nach Paris zurückkehrt, wird sich niemand mehr des Falls erinnern.«
Aber der Graf hörte nicht auf die eindringlichen Vorstellungen seines Sohns. Er stützte nachdenklich den Kopf in eine Hand und sagte dann: »Wir müssen einen Ausweg finden. Alles, was dieser junge Mann will, ist Geld, und Geld soll er haben, soviel wie er verlangt, eine Million, wenn nötig zwei oder drei, die Hälfte meines Vermögens. Es gibt niemanden und nichts auf der Welt, was nicht zu kaufen wäre.«
»Monsieur, er ist Ihr Sohn!«
»Ich pfeife auf meinen Sohn!« schrie der Graf. »Laà mich nur mit ihm sprechen, und er wird erkennen, daà ihm nichts bleibt, als sich mit mir gütlich zu einigen.« Befriedigt darüber, diesen Ausweg gefunden zu haben, blickte er Albert beifallheischend an. Doch der teilte nicht den Optimismus seines Vaters.
»Ich beraube Sie nicht gern Ihrer Illusionen«, sagte er, »aber Sie müssen sich den Gedanken an eine solche Regelung aus dem Kopf schlagen. Dieser Gerdy â ich habe ihn kennengelernt, Monsieur â läÃt sich nicht mit einem Teilerfolg abspeisen. Darin ist er ganz Ihr Sohn. Rücksichtslose Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Zügen; seine Stimme bebte vor innerer Wut, als er mit mir sprach, seine Augen schossen Blitze. Er ist wie ein Spieler, will alles oder nichts. Dabei ist er nicht einmal im Unrecht, wenn er gegen unseren Widerstand anrennt. Eines ist für mich gewiÃ: Nur Sieg oder Niederlage ist sein Ziel.«
Graf Commarin wunderte sich, seinen sonst immer respektvoll und gehorsam auftretenden Sohn solchermaÃen reden zu hören. Sein SelbstbewuÃtsein imponierte ihm jedoch auch, und so fragte er, wenn auch nicht ohne Erstaunen in der Stimme: »Was sollen wir also tun?«
»Bei allem Respekt vor Ihrer Würde und Ihrem Alter«, antwortete Albert, »bin ich, Ihr unehelicher Sohn, entschlossen, meinen Platz Noël einzuräumen, und zwar freiwillig, ehe mich ein Gericht dazu zwingt.«
»Du willst mich also verlassen!« schrie der Graf. »Du stellst dich einfach gegen meinen Willen und wirfst diesem Kerl deinen Namen und dein Vermögen vor die FüÃe! Gegen meinen Willen!«
»Ich habe meine Entscheidung getroffen.«
Der Zorn des Grafen schlug nun in Hohn und Spott um, und
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