Der Fall Lerouge
ertragen, das weià ich. Aber sie zerstört Ihr Leben nicht. Ich weià auch, daà es keine Wunde gibt, die die Zeit nicht heilt.« Claire hörte nicht mehr auf das, was Daburon ihr sagte. Es war ihr gleichgültig.
»Was raten Sie mir denn eigentlich?« fragte sie kalt. »Vernunft und Freundschaft lassen mich zu der Ansicht kommen, daà Ihnen Mut am besten weiterhilft. Weinen Sie über Ihre enttäuschte Liebe, aber nicht zu lange. Beten Sie darum, daà Sie ihn vergessen, der Ihrer nicht wert war.«
Daburon hielt erschrocken inne, denn Mademoiselle dâArlanges wurde aschfahl.
»Sagten Sie nicht, er haben den Mord womöglich in unzurechnungsfähigem Zustand begangen?« Daburon erschrak vor ihrer kalten Stimme.
»Das habe ich gesagt«, erwiderte er unsicher.
»Und ist der ein Verbrecher, der nicht genau weiÃ, was er tut?«
»Darüber kann nur Gott allein befinden. Die menschliche Gerechtigkeit muà sich an Tatsachen halten, und die lassen Monsieur dc Commarin als einen gemeinen Mörder erscheinen. Wir können durch mildernde Umstände das Strafmaà senken. Von der moralischen Schuld können wir ihn nicht lossprechen, auch dann nicht, wenn er freigesprochen würde â was sehr unwahrscheinlich wäre. Das Blut, das er vergossen hat, wäscht nichts und niemand von ihm ab. Geben Sie ihn auf, Mademoiselle!«
»So soll ich ihn, den alle Welt verdammt, in seinem Unglück allein lassen!« rief Claire empört. »Das ist Ihr Rat, den Vernunft und Freundschaft Ihnen eingibt? Das muten Sie mir, einer liebenden Frau, zu?«
Vergebens versuchte Daburon, Claires Erregung zu dämpfen. Sie lieà ihn nicht zu Wort kommen.
»Vielleicht bin ich zu unbeholfen, schüchtern, aber niemals feige. Ich werde Albert nicht verlassen. Als er noch im Glück lebte, wollte er es mit mir teilen. Und da sollte ich sein Unglück nicht mit ihm teilen wollen?
Jeder Schlag, der ihn treffen wird, wird auch mich treffen. Ich soll ihn vergessen, sagen Sie. Zeigen Sie mir, wie man das macht! Selbst wenn er ein Verbrecher sein sollte: Ich liebe ihn. Und ich werde auch den Verurteilten lieben. Schickt ihn in den Kerker, und ich folge ihm. Legt ihn unter die Guillotine; dann aber tötet mich auch. Denn nur der Tod kann uns auseinanderbringen ...
Daburon hatte sich abgewandt. Claire sollte jetzt um nichts in der Welt sein Gesicht sehen.
Wie sie ihn liebt, dachte er nur. Wie sie ihn liebt! Eifersucht ohne MaÃen stieg in ihm auf. Dieser Mann wurde so sehr geliebt, von ihr geliebt. Doch wer liebte den Untersuchungsrichter Daburon? Man schätzte, achtete ihn, man fürchtete ihn vielleicht. Aber wer liebte ihn? War er denn keiner Liebe wert?
Daà er Claires Stimme längere Zeit nicht hörte, brachte Daburon wieder zu sich. Er wandte sich um und sah sie schweratmend im Sessel lehnen.
»Ist Ihnen nicht wohl?« fragte er erschrocken. »Soll ich Ihre Gesellschafterin rufen?«
»Nein, Monsieur. Ich bin nicht so schwach, wie ich aussehe. Ich bin stark genug, auch dieses Leid zu tragen. Das weià ich jetzt, und dieses Wissen danke ich Ihnen. Seien Sie zufrieden mit sich, Monsieur. Sie haben mich gezwungen, mein Innerstes zu offenbaren. Ich habe es für ihn getan und bedaure nur, daà ich ihn nur verteidigen konnte, indem ich mich Ihnen offenbarte. Ihre brutale Anklage hat mich dazu gezwungen.«
Claire wollte das Zimmer verlassen. Daburon aber hielt sie zurück. In seiner Manie, sie von der Schuld Alberts überzeugen zu wollen und sie so vor einer groÃen Dummheit zu bewahren, setzte er noch einmal zu einer Erklärung an.
»Mademoiselle, lassen Sie sich versichern, daà ...«, begann er.
Doch Claire lieà ihn nicht einmal den Satz beenden. »Sparen Sie sich Ihre Reden«, sagte sie leidenschaftslos. »Sie können mich nicht überzeugen. Denken Sie von Albert, was Sie wollen, aber lassen Sie mich bitte das gleiche tun. Wären Sie wirklich mein Freund, ich würde Sie bitten, mir bei seiner Rettung zu helfen. Doch nach allem sind Sie wohl dazu nicht bereit.«
Instinktiv und geleitet von ihrer Liebe, war Claire in der Beurteilung des Falls zu demselben Ergebnis gelangt wie Tabaret durch seinen Scharfsinn. Daburon jedoch blieb allen Gefühlen und Ãberlegungen, die über die augenscheinlichen Tatsachen hinausgingen, verschlossen. Seine Gewissensbisse, Claire gegenüber so hart auftreten zu
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