Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Gesicht sah mich praktisch an. Die Augen waren aber geschlossen. Die Arme waren parallel zum Oberkörper, auf die Beine habe ich nicht geachtet.« Zur Kleidung des Mädchens kann er nach wie vor keine Anhaltspunkte liefern, nur an einen Anorak erinnert er sich nun. Der habe neben dem Kind gelegen, ein zweifarbiges Kleidungsstück, »ich glaube, blau und schwarz«. Genaueres fällt ihm auch zu der Tasche ein: »Dann stand da noch eine Art Toilettentasche, sie war blau, pink, mit so weißen Punkten, wenn ich mich noch recht erinnere. Ich habe mich nur auf das Gesicht konzentriert bzw. war starr vor Schreck. Mir schlotterten die Knie.«
Um 22.27 Uhr hält die Polizei Münchberg in einem Aktenvermerk fest, dass sie den Zeugen Wimmer für »durchaus glaubwürdig« hält. Den ominösen Fund bezeichnet sie als »Leiche«. Ob da tatsächlich eine Tote gelegen hatte, konnte nie geklärt werden.
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Am Samstag, den 12. Mai 2001, hat auch Ilona Sebert eine seltsame Begegnung. Sie hat ein Stoffgeschäft in der Nähe von München, im Erdinger Moos. An jenem Tag betritt ein etwa 35-jähriger Mann ihr Geschäft, an der Hand ein Mädchen, das er die ganze Zeit über nicht loslässt. Er habe den Eindruck vermittelt, als wolle er um jeden Preis verhindern, dass das Mädchen einen Ton von sich gibt, er sei unruhig gewesen und habe immer wieder zur Tür geblickt. Sie sei sich ganz sicher, dass dieser Mann nicht der Vater war, gibt Frau Sebert zu Protokoll. Er habe ein Halstuch kaufen wollen, aber sie habe ihm nur einige Stoffe zeigen können und gesagt, seine Frau, die Mutter des Mädchens, könne daraus ja eines nähen. Das Kind habe keine Mutter mehr, habe der Mann gesagt. Dann sei er unvermittelt mit dem Mädchen an der Hand aus der Tür gestürzt und in einen Wagen gestiegen. Die Nummer habe sie sich leider nicht merken können, es sei jedoch kein hiesiges Kennzeichen gewesen. Aber: Der Mann habe einen Dialekt gesprochen, wie er im Raum Bayreuth üblich sei. Die Ladenbesitzerin gibt bei ihrer Vernehmung an, sie habe das Gefühl gehabt, das Mädchen wolle ihr etwas sagen oder Schutz bei ihr suchen. Und dass sie jedes Mal, wenn sie ein Bild von Peggy sehe, daran denken müsse, dass dies das Mädchen aus ihrem Laden gewesen sei.
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Ebenfalls im Mai 2001 soll Peggy in Pforzheim gesehen worden sein. Elvan Keser gibt an, das Mädchen in Begleitung einer Frau vor einem Blumengeschäft erkannt zu haben. Ein halbes Jahr später, im Dezember, will sie noch einmal die gleiche Beobachtung gemacht haben. Da sei sie sich ganz sicher, wird sie Jahre später vor Gericht aussagen – jedenfalls zu fünfzig Prozent.
Für die Ermittler ist es schwierig, sich in diesem Dickicht zurechtzufinden. Denn viele vermeintliche Zeugen werden erklären, das vermisste Mädchen nicht nur nach Wochen, sondern sogar Jahre nach ihrem Verschwinden gesehen zu haben. In Bordellen, auf der Straße, in der Türkei, an Orten irgendwo in Deutschland, gerne auch zur gleichen Zeit. Die Ermittler gehen einigen dieser Spuren mit großem Aufwand nach, einige der »Urheber« werden später sogar vor Gericht angehört. Andere, deren Aussagen weit glaubwürdiger gewesen sind und vor allem zeitnaher gemacht wurden, hingegen nicht. Aber das ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten im Fall Peggy. Die Polizei jedenfalls zieht aus dieser Melange aus Fakten, Aussagen von Trittbrettfahrern und wohlmeinenden Helfern ihre ganz eigenen Schlüsse.
Kapitel 5
Soko Peggy 1
A llein in den ersten acht Wochen nach Peggys Verschwinden gehen die Ermittler rund 2500 Hinweisen nach. Sie vernehmen unzählige Zeugen, protokollieren deren Aussagen und fahnden in allen möglichen Richtungen nach dem Mädchen. Aus der einstigen Aufbauorganisation wegen der »Vermissung einer Person« ist inzwischen eine Sonderkommission geworden, zeitweise arbeiten 75 Ermittler rund um die Uhr am Fall Peggy.
Die Beamten des Hofer Kommissariats K1 hatten deswegen über Nacht ihre Büros räumen müssen, waren in andere Trakte des Gebäudes umgesiedelt worden. Dennoch geht es beengt zu. Drei Beamte der Sonderkommission teilen sich zwei zusammengestellte Tische, je einen Computer und ein Telefon. Pro Zimmer können so sechs verschiedene Ermittlungsteams, durch Stellwände voneinander abgeschirmt, Platz finden. Kurze Wege und ein reibungsloser Informationsfluss innerhalb der Soko haben oberste Priorität. Technisch jedenfalls ist die Sonderkommission bestens gerüstet. Bereits einen Tag nach der Gründung der Soko
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