Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
alleine. Das war deswegen, weil die Mutter eben auch zur Arbeit gehen musste, sie musste für den Unterhalt sorgen, für ihr Kind, und somit war es notgedrungen und zwangsläufig so, dass sie eben eine Zeit lang zu Hause oder auch auf der Straße alleine gewesen ist und« – hier unterbricht die Moderatorin: »Wie ja durchaus viele Kinder in diesem Alter.«
»Nun ist ja Lichtenberg ein kleiner Ort«, führt sie das Gespräch weiter. »An und für sich wächst ja da ein Kind in Geborgenheit auf, man kennt sich. Aber Sie möchten nicht nur die Bevölkerung dort ansprechen.«
»Das ist richtig. Lichtenberg liegt gleich neben Bad Steben, ist nur drei Kilometer von diesem Kurbadeort entfernt. Deshalb die Bitte an die Personen, die sich zu dem Zeitpunkt im Raum Lichtenberg aufgehalten haben – auch Kurgäste –, sie sollen doch noch einmal diesen Tag gedanklich zurückholen und überlegen, ob nicht das Kind irgendwo bei ihnen aufgetaucht ist in der Nähe. Sie können uns dann auch noch vielleicht wichtige Hinweise geben.«
Eine Puppe wird präsentiert – mit Kleidungsstücken, wie sie Peggy am Tag ihres Verschwindens getragen hat. Auch der pinkfarbene Schulranzen mit den gelben Leuchtstreifen wird erwähnt. Die Sendung endet mit dem Satz, dass eine Summe in Höhe von 55000 DM ausgesetzt wurde für Hinweise, die zur Aufklärung des Falles führen würden.
Susanne Knobloch werden im Verlauf der Ermittlungen elf Schulranzen präsentiert. Der ihrer Tochter ist nicht dabei. Auch keines der Kleidungsstücke, die das Mädchen am Tag ihres Verschwindens trug, taucht je wieder auf. In dieser Hinsicht zumindest bringt der Ausflug des Ermittlers ins Boulevardfernsehen keine verwertbaren Hinweise.
Aus heutiger Sicht ist allerdings interessant, welche Aussagen Behrendt über den Zeitpunkt von Peggys Verschwinden macht: »Ab 16.30 Uhr fehlt eigentlich jede Spur von ihr.« Mit anderen Worten: Im Juni 2001 gilt der Zeitraum von 7.35 bis 16.30 Uhr durch Zeugenaussagen als gesichert. Ein Zeitraum, der sich im Laufe der Ermittlungen deutlich nach vorne verschieben sollte.
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Peggy war das zweite kleine Mädchen, das in jenem Frühjahr des Jahres 2001 verschwand. Das erste war die zwölfjährige Ulrike aus Eberswalde bei Berlin, die am 22. Februar vermisst gemeldet wurde. Aber während es in diesem Fall bald handfeste Spuren gab – ein verbeultes Fahrrad, eine Haarspange und einen ausgebrannten VW-Polo, in dem sich Überreste von Ulrikes Rucksack fanden –, blieb Peggy wie vom Erdboden verschluckt. Und das, obwohl Suchmannschaften die Umgebung von Lichtenberg im Umkreis von fünf Kilometern durchkämmt hatten und selbst Hubschrauber und Tornados, ausgerüstet mit Wärmebildkameras, wieder und immer wieder über den Frankenwald geflogen waren. »Wir könnten jetzt die ganze Welt absuchen«, befand ein genervter Polizeisprecher, »aber irgendwo ist die Grenze.« Den Tornadoeinsatz habe es ohnehin nur auf Druck der Öffentlichkeit gegeben, musste auch Ralf Behrendt einräumen – weil die Polizei diese Methode auch im Fall der kleinen Ulrike aus Eberswalde eingesetzt hatte. Bei ihr war es am Ende ein Hinweis aus der Bevölkerung, der zur bitteren Lösung des Falles geführt hatte: In der Nähe eines Flugplatzes im Kreis Barnim hatte man Anfang März 2001 die Leiche des Mädchens gefunden. Von Peggy dagegen gab es auch nach Wochen keine Spur.
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Wer heute durch Lichtenberg spaziert und Menschen auf den Fall Peggy anspricht, merkt bald, dass die Lichtenberger zwei Sorten von Menschen nicht besonders mögen: Polizisten und Journalisten.
Der kleine Ort in Oberfranken wurde damals zum Tummelplatz für Reporter, Kamerateams und Schaulustige. Gleich nach Peggys Verschwinden sei es losgegangen, »da fielen ganze Horden von Journalisten bei uns ein«, erzählte uns ein Anwohner bei einer unserer Recherchereisen. Die Journalisten hätten sich benommen, als gehöre die Stadt ihnen. Sie seien laut und arrogant aufgetreten. Praktisch jeder Einheimische, der sich auf der Straße blicken ließ, sei fotografiert, gefilmt und ausgefragt worden. Selbst zu unmöglichen Zeiten am Abend und am Wochenende hätten die Reporter geklingelt, um irgendein Statement zu bekommen. Den Fuß hätten sie in die Tür gestellt, damit man ihnen selbige nicht vor der Nase zuknallte, und sogar einen Gartenzaun hätte ein übereifriges Kamerateam umgerissen und anschließend den Besitzer deswegen auch noch beschimpft. Aber vor allem die Kinder seien dem Spektakel
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