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Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
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haben IT-Spezialisten eine Spezialsoftware namens »Soko-Plus« installiert. Mehrere Beamte sind mit dem Programm vertraut, so dass die Soko Peggy 1 »sowohl personell als auch technisch« in der Lage ist, es »ohne Vorlauf anzuwenden«, wie es in einem späteren Zwischenbericht heißen wird. Die Software versetzt die Ermittler in die Lage, Daten von ihren mobilen Computern auf einen zentralen Server zu überspielen und miteinander zu verknüpfen. Mit Hilfe einer weiteren Spezialsoftware namens »Analyst Notebook« können die Ermittler ihre Daten grafisch darstellen, so das »Gesamtbild des Falles« anschaulich machen und Zusammenhänge erkennen, die sonst verborgen geblieben wären.
    Auch was die Optimierung der Arbeitsabläufe angeht, betreibt die Soko einigen Aufwand. Es gibt eine »interne Revision«, auch ein aus der Betriebswirtschaft abgeleitetes Controlling wird installiert. Dieser Planungsaufwand ist nötig, um etwa zu entscheiden, in welcher Reihenfolge die Unmenge an Hinweisen abgearbeitet werden sollte. Bereits abgearbeitete Spuren werden immer wieder hervorgeholt und mit dem aktuellen Ermittlungsstand abgeglichen. Regelmäßige Zusammenkünfte und Brainstormings sollen außerdem sicherstellen, dass alle Teammitglieder auf dem gleichen Stand sind. Dennoch wird die Bilanz ein halbes Jahr später ernüchternd ausfallen: »Im vorliegenden Sachverhalt haben sich bisher durch den Einsatz dieser EDV-Anwendung über das bereits Bekannte hinaus keine zielführenden Erkenntnisse ergeben.« Und weiter heißt es in diesem Zwischenbericht der Soko 1: »Der ständige Prozess des Bewertungsabgleichs von Spuren mit dem jeweiligen aktuellen Erkenntnisstand führte in einer Reihe von Spuren zu weiteren spezifischen Ermittlungs- und Suchmaßnahmen, die jedoch vom Ergebnis her kein anderes Bild ergaben.«
    *
    Bereits am 11. Mai 2001 hatte Herbert Manhart die Leitung der neuen Soko Peggy 1 übernommen. Manhart ist seit vierzig Jahren bei der Polizei, 1970 kam er zur Kripo, von 1974 an arbeitete er bei der Mordkommission und Vermisstenstelle in Nürnberg. 1998 kehrte er als Leiter der Mordkommission in seine Heimatstadt Hof zurück. Frisch aus dem Urlaub kommend, hatte der 58-jährige Erste Hauptkommissar seinen Kollegen Behrendt als Chef der Ermittlungen in dem ebenso mysteriösen wie aufwendigen Vermisstenfall »Peggy« abgelöst.
    Die Zahl der Aktenordner in den Büros der Soko wächst in den folgenden Wochen ebenso rasant wie der Druck der Öffentlichkeit. Die Beamten gehen jeder Spur nach, auch eher abwegigen, die ihnen Wahrsager und Hellseher nahelegen. »Muschelsucher«, wie Herbert Manhart diese Art von »Tippgebern« nennt. »Es könnte sein, dass uns einer dieser selbsternannten Hellseher auf eine falsche Spur führen will«, sagt der Leiter der Soko damals im Interview mit einer Zeitung, aber »wir müssen so etwas aus allen Blickwinkeln betrachten«. Das ist zeitlich und personell extrem aufwendig. Fünf bis sechs Teams, bestehend aus je einem einheimischen Beamten und zwei ortsfremden Polizisten, sind allein in Lichtenberg unterwegs. In diesem Ort fällt sogar ein fremder Hund auf, heißt es, dennoch finden die Beamten keinerlei Anhaltspunkte über den Verbleib des Mädchens. Frust macht sich langsam breit, zumal sich viele der vermeintlich heißen Spuren letztlich als eiskalt entpuppen. So wie die Geschichte, die sich in einem Wald bei Bad Steben zugetragen hat. Ein Spaziergänger hatte starke Verwesungsgerüche wahrgenommen und sofort die Polizei informiert. Beamte mit Spürhunden durchforsteten das Gelände, fanden aber nichts. Am Ende stellte sich heraus, dass der verdächtige Geruch von einem vorbeifahrenden Lkw ausgegangen war – der Laster hatte Schlachtabfälle geladen.
    Wieder eine Spur, die man abhaken konnte.
    Schon nach wenigen Wochen als Soko-Leiter muss Herbert Manhart einräumen: »Peggy – das ist mein bisher schwierigster Fall.« Er schläft schlecht, wird immer öfter vor dem Alarm seines Weckers wach. Nach halb fünf/fünf sei an Schlaf für ihn nicht mehr zu denken, erzählt er. Mindestens eine Stunde früher als seine Kollegen ist er im Büro. Mehr als dreihundert Überstunden hat er inzwischen angesammelt. An seinen letzten normalen Arbeitstag kann er sich kaum noch erinnern. Für Manhart und viele seiner Soko-Kollegen ist dies der spektakulärste Fall ihrer Laufbahn. Für einige Ermittler wird er ein Karrieresprungbrett werden. Aber für die Einwohner von Lichtenberg ist er ein einziger

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