Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
Vom Netzwerk:
der Matratze, auf der Pascal missbraucht worden sein soll, fanden sich weder Blut- noch Spermaspuren. Anders als im Fall Peggy scheute das saarländische Gericht aber keinen Aufwand, um jede Aussage und jedes Indiz zu überprüfen – und kam nach immensen 147 Verhandlungstagen zu dem Resultat, dass der Mord nicht beweisbar sei – trotz der Geständnisse. Alle zwölf Angeklagten wurden freigesprochen. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Sie wollte zumindest die »Tosa«-Wirtin im Gefängnis sehen. Aber die Revision scheiterte, und zwar aus Gründen, die durchaus auch auf den Fall Peggy gepasst hätten.
    So hätten die Angeklagten in ihren Geständnissen zwar alle möglichen Tatverläufe geschildert, aber keine einzige Aussage habe »zum Auffinden objektiver Spuren, wie DNA-, Blut- oder Haarspuren, geführt«, schrieben die BGH-Richter. Außerdem hätten die Angeklagten immer wieder davon gesprochen, Vergewaltigungen gefilmt und fotografiert zu haben. Es seien aber nirgends Fotos oder Videos gefunden worden. Darum habe das Gericht die Geständnisse zu Recht nicht als Beweis ernst genommen. »Das Fehlen jeglicher objektiver Beweismittel« zwinge »zu einer besonders kritischen Betrachtung dieser Angaben«, hielt die 4. BGH-Strafkammer zum Fall Pascal fest – anders, als ihre Kollegen von der 1. BGH-Strafkammer, die den Fall Peggy zu entscheiden hatte. Auch Ulvi Kulac hatte in seinen Geständnissen überprüfbare Details genannt, vor allem zur Beseitigung der Leiche, die sich allesamt als falsch herausstellten.

    Anders als im Fall Peggy ging der BGH im Fall Pascal auch auf die Methoden der Polizei ein. Die Geständnisse »seien zudem oftmals erst durch massive Vorhalte, Suggestionen und Beeinflussungen anderer Art zustande gekommen«. Und schlussendlich hätten fünf der Beklagten »ihre belastenden Angaben vollumfänglich widerrufen«. Rechtlich, so das höchste Gericht des Landes, sei an den Freisprüchen daher nichts auszusetzen.
    Die Bundesrichter gingen in ihrer Begründung sogar noch einen Schritt weiter und erklärten es zur Pflicht eines Strafgerichts, sämtliche verfügbaren Beweise »erschöpfend« zu würdigen. Das saarländische Gericht, das den Fall Pascal verhandelt hatte, habe das getan. Hätte der BGH diese Frage im Fall Peggy untersuchen müssen, wäre er vermutlich zu einem anderen Ergebnis gekommen – denn vor allem Zeugenaussagen, die Ulvi entlasteten, hörte sich das Hofer Landgericht erst gar nicht an. »Der Tatrichter muss sich mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzen, die den Angeklagten be- oder entlasten«, schrieben dagegen die Revisionsrichter im Fall Pascal. Gemessen daran sei die Beweiswürdigung des Landgerichts Saarbrücken nicht zu beanstanden – die so ganz anders vonstattenging als die im Fall Peggy.

Kapitel 22
    Nur ein Justizirrtum?
    S elten wurde ein Urteil öffentlich so massiv angegriffen wie das Urteil des Landgerichts Hof gegen Ulvi Kulac. Zu sehr ist der Glaube an die Gerechtigkeit der Justiz in unserem Denken verwurzelt, als dass man dieser Institution leichtfertig Irrtümer oder – schlimmer noch – Vorsatz unterstellen wollte. Der Beschluss eines Gerichts wird gemeinhin mit der Wahrheit gleichgesetzt. Aus einem Verdächtigen ist ein Täter geworden, die Unschuldsvermutung gilt nur bis zum Urteil, denn mit ihm tritt an die Stelle der Vermutung die rechtliche Gewissheit. Hat ein Gericht einen Täter verurteilt und damit ein Verbrechen aufgeklärt, ist es nicht mehr möglich, alte Spuren zu überprüfen oder nach neuen zu suchen. Auch dann nicht, wenn sich herausstellen sollte, dass mit den Fakten, auf die sich das Gericht beim Urteil stützte, etwas nicht stimmt. Weder Staatsanwaltschaft noch Polizei dürfen ermitteln, seien neue Verdachtsmomente auch noch so einleuchtend.
    Im Fall Peggy war die Faktenlage aber zunächst nicht der Grund für die immer lauter werdende Kritik am Urteil und an den Richtern, die es verfasst hatten. Sondern die Tatsache, dass vor allem die Bevölkerung in Lichtenberg nicht an Ulvis Schuld glaubte .
    Auf den ersten Blick mögen hier persönliche Freundschaften und schlechte Erfahrungen mit den als arrogant empfundenen Ermittlern eine Rolle gespielt haben. Der Volkszweifel aber führte dazu, dass das Urteil im Nachhinein so gründlich untersucht wurde wie kaum ein anderes. Nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft, sondern auf Initiative des »Volkes«.
    Zu denen, die nicht an Ulvis Schuld glaubten, gehört auch die

Weitere Kostenlose Bücher