Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Mutter des Jungen, ergänzte in einer späteren Vernehmung, dass Sebastian ihr am Morgen nach Peggys Verschwinden noch vor der Schule von dem roten Auto erzählt und gefragt habe, wie ein tschechisches Kennzeichen aussehe.
Die Aussagen von Sebastian legen nahe, dass es sich bei dem fraglichen Wagen um ein Mercedes-Coupé gehandelt haben könnte, denn: »Ich habe noch gesehen, als der Mann sie [Peggy] fragte, ob sie mitfahren will, dass er den Beifahrersitz etwas nach vorne getan hat, so dass sie hinter der Lehne einsteigen kann.« Das Auto habe nur zwei Türen gehabt und sei »a weng [ein wenig] neu« gewesen. Peggy habe sich hinten in das Auto gesetzt. Der Fahrer sei dabei hinter dem Steuer sitzen geblieben. »Er hat nach hinten geguckt und geschaut, wie sie einsteigt.« Peggy habe eine Regenjacke des örtlichen Sportvereins TSV Lichtenberg getragen, mit dem Vereinsnamen auf dem Rücken.
Beide Jungen wussten auch noch genau, welche Farbe die Jacke hatte: »Schwarz und weiß und gelb. Schwarz war es unten, gelb oben, und weiß war es so in der Mitte, da war so ein Streifen wie ein Blitz. Sie hatte eine Wollhose an, ich glaube, sie war dunkelblau, die Wollhose.« Die Beschreibung passte. Außerdem habe sie »Stöckelschuhe« getragen, »ich glaube, die waren schwarz. Die hat nur schwarze Schuhe an, meistens.« Gemeint waren vermutlich keine wirklichen »Stöckelschuhe«, sondern Sneakers mit dicken, plateauartigen Sohlen. Hinten im Mercedes habe schon ein anderes Mädchen gesessen, das sie nicht gekannt hätten. Sie sei vielleicht ein Jahr älter als Peggy gewesen, also etwa zehn.
Peggy, sagten die beiden Jungen den Ermittlern, sei aus der Bäckerei gekommen und dann in den Mercedes gestiegen. Sebastian Röder ergänzte, er habe gehört, wie Peggy mit dem Fahrer des Mercedes sprach. Sie habe gesagt, »dass sie ihren Schulranzen beim Lager holen will«. Sie habe dem Mann außerdem gesagt, dass sie nicht zu spät nach Hause kommen wolle. Der Mann habe geantwortet: »Das können wir schon machen«, und habe Peggy einsteigen lassen. Dann seien sie losgefahren.
Am Abend sei das Auto dann zum Marktplatz zurückgefahren, erinnerte sich Jakob. Er habe eindeutig gesehen, »dass in diesem Auto die Peggy war«. Wie spät es da gewesen sei, fragten die Vernehmer. Seine Antwort: »Das war vielleicht so sieben, es war schon etwas dunkel.« Dann schilderte der Bub ein weiteres Detail: »Die Peggy ist dann auch ausgestiegen, kann ich mich jetzt erinnern, und der Mann in dem roten Mercedes ist weggefahren.« Das wiederum passte zur Aussage von Jakobs Mutter, der Junge sei an jenem Abend erst spät nach Hause gekommen.
Warum sollten sich neunjährige Buben so etwas ausdenken? Vorausgesetzt, sie sagten die Wahrheit, hat Peggy am Abend des 7. Mai 2001 noch gelebt. Das Urteil gegen Ulvi Kulac wäre allein damit als falsch widerlegt. Auch der Fahrer des roten Mercedes hätte Peggy wohl weder entführt noch ermordet, denn er hat das Mädchen ja offenbar unversehrt wieder abgesetzt. Aber er wäre ein unverzichtbarer Zeuge gewesen.
*
Zwei Tage später erschien die Polizei im Elternhaus von Sebastian Röder und verhörte den Jungen erneut. Ihr Auftrag lautete offenbar, zu prüfen, ob die Buben wirklich die Wahrheit gesagt hatten. Vor allem Sebastians präzise Zeitangabe irritierte die Ermittler. Normalerweise gucken Zeugen nicht auf die Uhr, wenn die wichtigen Dinge passieren. Die Beamten hatten inzwischen herausgefunden, dass Sebastians Mutter Claudia am Mittag des 7. Mai nicht zu Hause gewesen war. Sollte er gelogen haben, als er erzählte, er habe seine Mutter nach der Uhrzeit gefragt? Hatte er sich die Zeitangabe – 14.45 bis 15 Uhr – nur ausgedacht?
Sebastian erzählte den Polizisten, dass er nach der sechsten Schulstunde gemeinsam mit drei anderen Jungs nach Hause gegangen sei und kurz nach 13 Uhr an der Haustür geklingelt habe. Als niemand öffnete, sei ihm eingefallen, dass seine Mutter arbeiten war. »Deshalb bin ich gleich zu meiner Oma Hannelore T. gegangen. Dort war nur der Opa Dieter zu Hause.« Dort habe er dann zu Mittag gegessen, »Semmel mit Wienerle«. Später sei dann sein Freund Jakob im Haus der Großeltern vorbeigekommen und habe ihn abgeholt. Jakob habe sein Fahrrad dabeigehabt. Die beiden seien zum Haus eines weiteren Freundes gegangen, der sich ihnen anschloss, ebenfalls sein Fahrrad neben sich herschiebend. Schließlich sei noch ein vierter Junge dazugestoßen. Auf ihrem Streifzug durch den Ort hätten
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