Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
verunsichert worden sei. Die Beamten hätten Aktenordner auf den Tisch geknallt und gebrüllt, er sei ein Lügner und stecke mit Kulac unter einer Decke. Psychoterror sei das gewesen. Man habe ihm eine Tasse Kaffee angeboten, aber als er die Hand danach ausstreckte, habe der Beamte den Kaffee selbst getrunken. Und nachdem er alle Seiten des Protokolls einzeln unterschrieben habe, hätten die Beamten den Raum verlassen; bei ihrer Rückkehr habe er ein weiteres Mal jede Seite unterzeichnen müssen. Die Nerven, festzustellen, ob an seinen Aussagen etwas geändert worden war, habe er nicht gehabt.
Viele Lichtenberger, die wieder und wieder von der Polizei befragt wurden, können Ähnliches erzählen. Vor allem »diese neuen Beamten«, also die Ermittler der Soko 2, hätten sie bei den Vernehmungen in die Ecke getrieben, ihnen nicht geglaubt und sie mit Vorwürfen überschüttet. Genau wie die Journalisten hätten sie nur hören wollen, was ihnen in den Kram passte. Am schlimmsten sei der Chefermittler gewesen.
Kapitel 25
Blutspuren, die nie existierten
H alten wir noch einmal fest: Das Geständnis von Ulvi Kulac war der einzige Beweis, auf dessen Basis er am Ende wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Und wir kennen bereits drei Merkwürdigkeiten, die das Geständnis in einem fahlen Licht erscheinen lassen: Erstens, ausgerechnet beim entscheidenden Verhör war Ulvis Anwalt nicht dabei. Zweitens, ausgerechnet beim entscheidenden Verhör ging das Tonbandgerät kaputt. Und drittens erwiesen sich die überprüfbaren Fakten, die Ulvi in seinem Geständnis nannte, noch am selben Tag als objektiv falsch.
Es gab aber noch eine vierte Merkwürdigkeit, die sich aus den Akten nachzeichnen lässt. Es geht um den Morgen des 2. Juli 2002. Zwei der Vernehmer, die Beamten Michler und Römer, konfrontierten Ulvi damit, dass sich auf einem seiner Arbeitsoveralls Blutflecken gefunden hätten. Das war freilich falsch. Richtig war vielmehr, dass Ulvis Mutter Elsa kurz zuvor – über ein Jahr nach Peggys Verschwinden – auf Anfrage der Soko alte Kleidungsstücke herausgegeben hatte und dass sich auf einem Overall tatsächlich ein brauner Fleck befand. Richtig war auch, dass die Rechtsmediziner diesen Fleck nicht als Blut identifizierten. Im spurenkundlichen Gutachten der Rechtsmedizin Würzburg heißt es dazu, es könne sich möglicherweise um alten »Blutfarbstoff« handeln, der durch mehrfaches Waschen »denaturiert und unlöslich geworden« sei. »Eine andere Herkunft der dunklen Flecken ist allerdings nicht auszuschließen.« Zusammenfassend kommt das Gutachten zu dem Schluss: »An der Kleidung des Beschuldigten Ulvi K. lassen sich keine zweifelsfreien Antragungen von Material (z.B. Blut) der Betroffenen feststellen.«
Warum also konfrontierten die Vernehmer Römer und Michler den Beschuldigten im Verhör mit der falschen Erkenntnis, man habe Peggys Blut an seinem Overall gefunden?
Mit dieser Frage beschäftigte sich auch das Gericht während des Prozesses ausführlich, denn ein wahrheitswidriger Vorhalt ist in einem Verhör verboten. Ein Beweismittel, erst recht ein Geständnis, das auf Grundlage eines solchen Vorhalts zustande gekommen ist, darf in einem Prozess eigentlich nicht verwendet werden. Also fragten die Richter die beiden Beamten Michler und Römer, wie sie auf die Sache mit den Blutspuren gekommen seien. Römer erinnerte sich noch sehr genau an das Gespräch mit Geier. Der habe gesagt: »Stellt euch vor, ich habe jetzt bei einem Telefongespräch erfahren, dass an dem Overall des Herrn Kulac, wobei der [Geier] Ulvi gesagt hat, im linken Schulterbereich Blut und Blutanhaftungen festgestellt wurden.« Die Ermittler seien verblüfft gewesen, damit hätten sie nicht gerechnet, sagte Römer. »Darüber waren wir natürlich alle sehr erstaunt und auch […] euphorisch.« Und schließlich: »Mit diesem Ergebnis gingen wir dann in die Vernehmung vom 2. Juli.«
Das Gericht konfrontierte den Chefermittler mit dieser Aussage. Der erklärte, er habe mit dem Leiter der Würzburger Rechtsmedizin telefoniert und erfahren, auf dem Anzug gebe es einen »circa handtellergroßen dunklen Fleck mit Blutverdacht«. Aus den Nähten des Overalls hätten die Rechtsmediziner Material entnommen, um es auf DNA-Spuren zu untersuchen. Diese Information habe er sinngemäß an die beiden Vernehmer weitergegeben. Geier konnte sich freilich nicht mehr »an den genauen Wortlaut« erinnern, heißt es im Prozessprotokoll. Die
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