Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
zu diesem Zeitpunkt an dem Mercedes nicht gesehen.«
Dann notierte der Vernehmer eine Nachfrage – in der er den Buben kurioserweise zuerst duzt und dann siezt: »Du hast einmal angegeben, dass Peggy in den roten Mercedes eingestiegen ist. Sie sagten mir dabei, sie habe ihre Schultasche im Lager vergessen?«
Antwort: »Das habe ich zwar gesagt, aber das habe ich mir irgendwie zusammengereimt. Das stimmt jedoch nicht.«
Weiter heißt es: »Ich möchte noch einmal betonen, ich habe Peggy an dem Nachmittag überhaupt nicht gesehen, weder, als wir zum Fußballspielen gingen, noch, als wir zurückkamen.« Und, als sei noch irgendetwas unklar: »Ich will nochmals sagen, dass ich Peggy auch am Abend, als wir vom Fußball zurückkamen, nicht gesehen habe.«
*
Das wollten wir genauer wissen. Wir fragten uns, was vor diesem letzten Verhör passierte, wie es zustande kam und was da noch gesprochen wurde. Also lautete der Plan, Kontakt mit Sebastian und Jakob aufzunehmen, was schwieriger war als gedacht. Eine Facebook-Nachricht an Sebastian blieb unbeantwortet. Mit etwas Aufwand bekamen wir die Handynummern der beiden heraus. Alle Versuche, sie anzurufen, landeten zunächst auf den Mailboxen. Schließlich hatten wir Sebastian am Apparat, aber er war zunächst nicht bereit, mit uns zu sprechen. Wir fuhren nach Lichtenberg und versuchten es mit einem persönlichen Gespräch – und das klappte dann tatsächlich.
Wir trafen uns in einem Lokal in der Ortsmitte. Sebastian sagte, er habe eigentlich keine Lust mehr, mit Journalisten zu reden. Damals, als Peggy verschwand, habe er das immer bereitwillig getan, aber seine Antworten seien oft verfälscht worden.
Wir erklärten ihm, dass es uns um seine damaligen Aussagen bei der Polizei gehe; wir hätten uns gefragt, warum er widerrufen habe. Woher wir das wüssten, wollte Sebastian wissen. Wir sagten, dass wir die Protokolle in der Ermittlungsakte gefunden hätten. Okay, willigte er ein, das könne er erklären. Es sei ganz einfach: Die Polizei habe ihn allein vernommen, ohne Eltern, und behauptet, Jakob habe alles zurückgenommen und als Lüge bezeichnet. Da habe er Angst bekommen. Der Polizist habe gesagt, er solle jetzt besser auch seine Aussage zurücknehmen. Das habe er dann getan. Mit Jakob hätten sie dasselbe gemacht. Um ganz sicherzugehen, fragten wir noch einmal nach, welche Version denn nun stimme. Sebastians klare Antwort: »Das, was wir im ersten Verhör gesagt haben. Wir haben Peggy am Nachmittag gesehen«, aber das habe die Polizei wohl nicht hören wollen.
Einige Tage später trafen wir auch Jakob. Er bestätigte, was Sebastian erzählt hatte. »Das war so, dass die Polizei uns jeweils einzeln vernommen hat, ohne Elternteil oder sonst irgendwen, also ganz alleine«, erinnerte er sich. »Da haben sie mir gesagt, dass eben der Sebastian gesagt haben soll, dass unsere Aussage eine Lüge war, dass er sie zurückgezogen hat und ich noch mal überdenken soll, was ich gesagt habe. Und dann hab ich natürlich aus Angst, weil ich ja noch klein war und gedacht hab, dass ich Ärger mit der Polizei bekomme, gesagt: Das war eine Lüge. Und das Gleiche haben sie beim Sebastian auch gemacht.«
Und noch etwas verriet uns Jakob: Nach den letzten Verhören, bei denen sie auf Druck ihre Aussagen zurückgenommen hatten, hätten sie sich ordentlich voreinander geschämt. Keiner habe dem anderen verraten, was bei der Polizei vorgefallen war. Erst Wochen später hätten sie wieder miteinander gesprochen und bemerkt, wie die Beamten sie hereingelegt hatten.
Für den Ausgang des Prozesses im Fall Peggy war der Umgang mit den Zeugen Jakob Demel und Sebastian Röder mitentscheidend. Denn nachdem die Buben ihre erzwungene Falschaussage zu Protokoll gegeben hatten, wurden sie erst gar nicht vor Gericht geladen. Im Prozess spielte ihre Beobachtung folglich keine Rolle.
Die Richter wussten von dieser Manipulation nichts, jedenfalls nicht die beiden Mitglieder der damaligen Kammer, die wir danach fragen konnten. Hätten sie davon Kenntnis gehabt, wäre der Prozess vielleicht anders ausgegangen.
*
Die beiden Kinderzeugen sind nicht die Einzigen, die über fragwürdige Methoden während der Vernehmungen berichten können. So beklagte sich der Entlastungszeuge Hilmar K., der Mann, dem Ulvi am 7. Mai etwas zu essen vorbeigebracht hat, sowohl in der Hauptverhandlung als auch uns gegenüber, dass er bei seiner polizeilichen Befragung viereinhalb Stunden lang ohne Pause unter Druck gesetzt und
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