Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Ermittlern später vor, sie hätten ihn in dem Verhör körperlich bedrängt und lautstark unter Druck gesetzt. Sie hätten ihn angebrüllt und, wenn er nicht so antwortete wie gewünscht, Leitz-Ordner mit lautem Knall auf die Tischplatte gepfeffert. Einer der Vernehmer habe ihm außerdem mehrfach mit dem Daumen schmerzhaft in die linke Schulter gebohrt. Die Beamten bestreiten die Vorwürfe. Vor Gericht wurden sie nicht erörtert.
Das ist indes kaum zu verstehen, denn es handelte sich keineswegs um einen Einzelfall. Und dafür gibt es einen Zeugen. Er heißt Matthias Berger und war damals Pfleger in der Bayreuther Psychiatrie. Mit Ulvi Kulac hatte er »recht intensiven Kontakt«, weil er für ihn als »Bezugspfleger« eingesetzt war. Das, was der Pfleger der Polizei sagte und was in der Ermittlungsakte auch schriftlich festgehalten ist, spricht jedenfalls nicht dafür, dass Ulvi in den Vernehmungen mit Samthandschuhen angefasst wurde:
Ich möchte hier anfügen, dass Herr Kulac ständig von verschiedenen Beamten zur Vernehmung in die unteren Räume gebracht wurde bzw. dort vernommen wurde. Ich habe einmal mitbekommen, als ich vor der Tür gestanden habe, dass Herr Kulac sehr lautstark angeschrien wurde und auch auf den Tisch geschlagen wurde. Als dann die Tür aufgegangen ist, habe ich auch gesehen, wie Herr Kulac von Beamten angeschrien wurde. […] Das Schreien war so laut, dass ich das dann einer Ärztin im Nachhinein gemeldet habe und ab diesem Zeitpunkt angeordnet war, dass immer einer der Pfleger mit vor dem Vernehmungsraum stehen sollte.
Der beschuldigte Ulvi Kulac wurde also vom Klinikpersonal ausgerechnet vor Polizeibeamten beschützt? Wenn dem so war, dann ist das ein bemerkenswerter Vorgang. Dieser Schutz funktionierte freilich nur bei Vernehmungen im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. »Wie es außerhalb des Krankenhauses war, kann ich nicht sagen«, erklärte der Pfleger. »Herr Kulac wurde auch des Öfteren nach außen zur Vernehmung gebracht.«
Möglicherweise aus gutem Grund.
*
Gudrun Rödel, Ulvi Kulacs Betreuerin, stellte am 7. Mai 2007 im Namen ihres Schützlings Strafanzeige gegen Soko-Chef Geier – wegen Aussageerpressung.
Im Juni 2007 kam die Antwort der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Man sehe von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab. Denn:
Gemäß § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung ist ein Ermittlungsverfahren wegen verfolgbarer Straftaten nur dann einzuleiten, wenn hierfür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Diese müssen es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Selbst bei Unterstellung einer vorsätzlichen Täuschung durch Kriminaldirektor Geier wäre der Tatbestand der Aussageerpressung nicht erfüllt, da § 343 StGB lediglich die Anwendung der Nötigungsmittel Gewalt, Gewaltandrohung oder seelische Qual zur Erlangung einer Aussage unter Strafe stellt. Andere Straftatbestände kommen vorliegend nicht in Betracht.
Kapitel 26
Wie die Kripo Geständnisse produziert
W enn sonst kein Beweis existiert, dann ist ein Geständnis die einzige Chance, ein Verfahren mit einem Urteil abzuschließen. Im Fall Peggy gab es keinen Beweis. Dennoch war die Sonderkommission sich sicher, sie habe mit Ulvi Kulac den Täter gefasst. Soko-Chef Geier leistete sich in einem Ermittlungsbericht vom 5. August 2002 dazu auch einen kleinen, aber verräterischen Patzer: Das Kapitel, in dem er sich ausführlich der Lebensgeschichte seines Beschuldigten widmete, überschrieb er mit »Der Täter«. Als Täter steht aber erst fest, wer von einem Gericht als solcher verurteilt wurde. Bis dahin hat er als unschuldig zu gelten, vor allem für diejenigen, die professionell mit der Materie umgehen. Was Geier so sicher machte, ist leicht nachzuvollziehen: Er hatte Ulvis Geständnis.
Geistiger Urheber dieses Geständnisses war aber möglicherweise gar nicht Ulvi Kulac, oder jedenfalls nicht er allein.
Wir haben uns ja schon mit Ulvis Zellennachbar Fritz Hermann beschäftigt, der als Erster ein Geständnis von Ulvi gehört haben wollte, der Polizei davon erzählte und erst Jahre später seine Aussage als Lüge bezeichnen sollte. Und wir haben festgestellt, dass der endgültige Tathergang, der sich in Ulvis Geständnis findet, exakt jener Tathergangshypothese gleicht, die der Münchner Profiler Alexander Horn lange vorher aufgestellt hatte – nachdem er entsprechend von Geier und der Soko
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