Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
fraglichen Unterlagen seien »bei einem Umzug« leider verlorengegangen.
Die Richter hielten Geier nun vor, was Römer und Michler ausgesagt hatten – dass er klipp und klar erklärt habe, die Rechtsmediziner hätten definitiv Blut gefunden und nicht nur einen unbestimmten Fleck »mit Blutverdacht«. Geier entgegnete lapidar, er könne sich diesen Widerspruch nicht erklären, es sei aber möglich, dass es so gewesen sei, wie seine Beamten ausgesagt hätten.
Dass dieser Vorgang starker Tobak war, muss dem Gericht bewusst gewesen sein. Denn die Kammer mühte sich, ihn wenigstens halbwegs plausibel zu interpretieren. Römer und Michler hätten ehrlich geglaubt, an Ulvis Overall sei Blut gefunden worden, schrieben die Richter in ihrer Urteilsbegründung. Darum hätten sie Ulvi auch nicht bewusst getäuscht, als sie ihn mit dieser Unwahrheit konfrontierten. Darin könne »allenfalls eine unbewusste Irreführung gesehen werden«.
Was aber, wenn Geier seine beiden Vernehmer bewusst falsch informierte, damit sie Ulvi mit dem vermeintlichen Blutflecken-Fund unter Druck setzten? Diese Möglichkeit schloss die Kammer aus – und zwar mit einer Begründung, wie sie umständlicher kaum formuliert werden kann: »Hätte Ltd. KD Geyer [sic! Die Richter verwendeten stets die falsche Schreibweise des Namens] dies ins Werk gesetzt, hätte er, als Zeuge in der Hauptverhandlung vernommen und bei seiner Aussage sichtlich um eine Erinnerung bemüht, nicht eingeräumt, Unzutreffendes möglicherweise an die Polizeibeamten Michler und Römer weitergegeben zu haben, und er hätte auch nicht von sich aus bekundet, mit diesen Zeugen vor der Hauptverhandlung über den Widerspruch in ihrer, der Zeugen KHK Römer und Michler Aussage und seiner Aussage gesprochen zu haben.«
Im Klartext: Geier sei deshalb kein Vorwurf zu machen, weil er ja selbst die Möglichkeit eingeräumt habe, seine Vernehmer falsch informiert zu haben. Diese Wertung wird nicht nur für abenteuerlich halten, wer allein über gesunden Menschenverstand verfügt, sondern vor allem derjenige, der juristische Expertise vorweisen kann. Sie passt auch nicht dazu, dass der Vorsitzende Richter Georg Hornig zu Ohren bekam, dass Geier sich über seine Aussage vorab mit seinen Soko-Ermittlern abgesprochen habe. Nachdem er davon hörte, stellte er Geier zur Rede und fragte ihn: »Sie haben was gemacht?« Und, um es noch einmal zu sagen: Ohne diese Bewertung hätte das Geständnis von Ulvi Kulac nicht verwertet werden dürfen, womit der Prozess gegen ihn geplatzt wäre.
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Und schließlich gab es noch einen anderen kritischen Punkt des Geständnisses, mit dem sich das Gericht beschäftigen musste.
Die Vernehmer hatten Ulvi am 2. Juli vor dem entscheidenden Verhör eine weitere Falle gestellt. Römer habe Ulvi versichert, er könne ruhig »die Wahrheit« sagen, denn zu befürchten habe er nichts. So oder so werde er in der Psychiatrie in Bayreuth bleiben können und müsse nicht ins Gefängnis. Denn davor hatte Ulvi panische Angst. Römer bezog sich dabei auf jenes psychiatrische Gutachten, das Ulvi für schuldunfähig erklärte. Allerdings nur, was den Vorwurf des Kindesmissbrauchs angeht. Dass ebendieses Gutachten beim möglichen Mord an Peggy von voller Schuldfähigkeit ausgeht, fiel unter den Tisch. Mit anderen Worten: Die Zusicherung, Ulvi komme um das Gefängnis herum, war schlicht falsch.
Dass der Ermittler den Beschuldigten damit möglicherweise in Sicherheit wiegte, sah das Gericht keineswegs als Grund dafür an, das Geständnis zu hinterfragen. Römer sei am Morgen des 2. Juli 2002 nun einmal davon augegangen, dass Ulvi Kulac als schuldunfähig eingestuft werde und daher dauerhaft in der Psychiatrie bleiben könne. Die Richter schließen daraus: »Mithin lag in der bezeichneten Äußerung des vernehmenden Polizeibeamten KHK Römer nach Überzeugung der Kammer allenfalls eine unbeabsichtigte Irreführung, nicht jedoch eine Täuschung vor.«
Nicht die Vorspiegelung falscher Tatsachen an sich hätte das Geständnis nach Ansicht des Gerichts also unbrauchbar gemacht, sondern erst eine dahinterstehende mutwillige Absicht. Die aber verneinte die Kammer. Die Soko habe nur das Beste gewollt und Ulvi lediglich »versehentlich« getäuscht. Die Wirkung, die der falsche Blutfleck-Vorhalt und die Aussicht auf Vermeidung eines Gefängnisaufenthalts bei Ulvi Kulac auslöste – ganz gleich, ob absichtlich oder versehentlich vorgebracht –, zählte nicht.
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Ulvi Kulac warf den
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