Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Peggy 2 mit passenden Informationen und Vermutungen versorgt worden war.
Könnte es also sein, dass die Soko-Ermittler sich die Grundzüge des Geständnisses selbst ausgedacht und nur mit den Einzelheiten angereichert haben, die sie in den Verhören erfuhren?
Um dieser Frage nachzugehen, haben wir uns mit der Methode beschäftigt, die die Ermittler bei den Verhören anwandten. Aus internen Polizeikreisen erfuhren wir, dass es sich dabei um die sogenannte Reid-Methode handelte, die 1947 von dem Polizeibeamten John E. Reid in Chicago entwickelt wurde. Reid gründete später die Firma John E. Reid & Associates, Inc., die seitdem weltweit Polizeibehörden berät und Seminare zu Verhörtechniken anbietet. 1990 konzipierte das Unternehmen ein spezielles Trainingsprogramm für die Vernehmung von Kinderschändern. Die Reid-Methode konzentriert sich stets auf die Vernehmung von Beschuldigten, nicht aber auf die Befragung von Zeugen.
Die bayerische Polizei veranstaltete erstmals im Jahr 1999 ein »Pilotseminar für Befragungs- und Vernehmungstechnik nach Reid«, und zwar auf Betreiben des damaligen Innenministers Günther Beckstein. Der Test verlief vielversprechend, das Ministerium verhandelte anschließend fast zwei Jahre mit der Geschäftsführung von Reid. Gleichzeitig prüfte das bayerische Justizministerium, wie die Methode in Strafverfahren verwertet werden kann und inwieweit sie mit dem deutschen Strafprozessrecht vereinbar ist. Am Ende wurde grünes Licht gegeben, Innenministerium und Reid schlossen einen Vertrag. In den Jahren 2001 bis 2003 reiste regelmäßig eine deutschsprachige Referentin aus den USA an und schulte bayerische Kriminalbeamte im Fortbildungsinstitut der bayerischen Polizei in Ainring in der Verhörmethode. Das Innenministerium betonte auf unsere Anfrage, dass ausschließlich »erfahrene Beamte der Kriminalpolizei, die in vernehmungsintensiven Bereichen eingesetzt sind und über eine ausgeprägte Vernehmungspraxis verfügen«, mit der Reid-Methode vertraut gemacht wurden. Nach 2003 gab es keine Seminare mehr – nicht, weil die bayerische Polizei unzufrieden gewesen wäre, sondern weil Reid keinen deutschsprachigen Referenten mehr stellen konnte. Das Innenministerium versuchte, eigene Mitarbeiter in Lizenz als Ausbilder einzusetzen, was Reid aber ablehnte.
Die Reid-Methode bietet einen strukturierten Ablauf für die Vernehmung von Beschuldigten. Rechtlich ist sie umstritten, weil sie – was nach US-Strafrecht möglich ist – auch mit falschen Vorhalten arbeitet und als höchst manipulativ gilt. In Deutschland ist es den Ermittlern verboten, Beschuldigte zu täuschen, jedenfalls nach Maßgabe des Gesetzes.
Laut Reid-Methode muss ein Verdächtiger neun Verhörschritte durchlaufen, wobei der neunte Schritt nur noch darin besteht, ein bereits abgelegtes Geständnis schriftlich zu bestätigen. Die übrigen Schritte sind eine Mischung aus Fragetechnik und psychologischer Beobachtung, die darauf zielt, Antworten als wahr oder unwahr zu erkennen und anhand von Reaktionen der Delinquenten in ihren Gedanken zu lesen. Diese neun Schritte lauten:
DIRECT POSITIVE ACCUSATION: Im ersten Schritt wird der Verdächtige mit dem Tatvorwurf konfrontiert. Die Firma Reid empfiehlt dazu auch eine Standardformulierung: »Unsere Ermittlungen besagen klar, dass Sie das waren.« Laut Reid-Methode soll sich hier schon die Spreu vom Weizen trennen. Ein Unschuldiger reagiere darauf geschockt und überrascht, ein Schuldiger vermeide dagegen Augenkontakt und streite den Vorwurf ab.
THEME DEVELOPMENT: Der zweite Schritt, die »Themenbildung«, besteht darin, dass der Polizist dem Beschuldigten einen längeren Monolog vorträgt, der die Tat rechtfertigt oder in einem milderen Licht dastehen lässt. Sinn dieses Köders ist zweierlei: Zum einen soll der Beschuldigte leichter die moralische Hürde zum Geständnis nehmen, indem ihm etwa Verständnis für eine sexuelle Erregbarkeit durch Kinder entgegengebracht wird. Möglich sei es auch, Namen anderer Menschen zu nennen, die vielleicht etwas Ähnliches getan haben, aber im Großen und Ganzen trotzdem sympathisch sind. Zum anderen wird massiver Druck aufgebaut, weil der Vernehmer seinen Monolog so aufbauen soll, als stehe schon fest, dass der Beschuldigte die Tat definitiv begangen hat. Es geht demnach nur um die Frage nach dem Warum, nicht aber nach dem Ob. Reid empfiehlt zudem, dem Beschuldigten auf keinen Fall die juristischen Konsequenzen des Tatvorwurfs zu erklären –
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