Der Fall Struensee
werden. Ich versuchte, ihm die Gedanken der Aufklärung nahezubringen. Sprach zu ihm von Gedankenfreiheit und dem Mut sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Ich gab ihm Bücher von Voltaire, die er heimlich las und über die wir ins Gespräch kamen. Er zeigte sich der neuen Philosophie sehr aufgeschlossen und nahm begierig alles auf, was ich ihn darüber lehrte. Ich machte ihn auch auf die Lage der Landwirtschaft aufmerksam mit dem Erfolg, dass er als großer Befreier der Bauern in die Geschichte eingehen wollte. Er berief ein paar Jahre später eine Kommission ein, die sich mit der Landreform beschäftigen sollte. Diese Kommission, der ich vorstand, wurde jedoch schnell durch eine andere abgelöst. Die Reform verlief im Sande.
6. Das Komplott
Mathilde stand nachdenklich am Fenster ihres Schlafzimmers. Vor ihr lag Kopenhagen, blutrot von der untergehenden Sonne. Die Kuppel der Mamorkirche, die Türme der Frelserkirche und der Peterskirche standen wie in einem Meer von Flammen. Das hatte etwas Beängstigendes an sich. Sie wandte sich ab. Morgen sollte es einen Ball geben, am 11. Französische Komödie und am 16. einen Maskenball. Sie drehte sich lustvoll vor dem Spiegel und seufzte wohlig. Nach dem Diner ging sie bald zu Bett, fühlte die Kühle der knisternden Seidendecken. Auf dem Nachttisch brannte eine Kerze.
Sie griff nach einem Buch von Lafontaine. Der Porzellanofen gab angenehme Wärme ab. Sie lauschte. Auf dem Hof waren die Schritte der wachhabenden Grenadiere zu hören. Und dann endlich ein leiser Schritt auf dem hinteren Gang. Ein Tappen an der Tapetentür. Das Drehen des Schlüssels. Der heitere Lafontaine fiel unbeachtet neben das Bett. Sie gab sich den Liebkosungen, mit denen der Geliebte ihren Leib bedeckte, rückhaltlos hin.
Seit jenem Abend im Pastorenhaus der Holmenskirche fühlte Graf Rantzau sich unbehaglich. Befürchtungen bedrängten ihn. Was, wenn es misslang? Wenn der König sich am Ende doch neben Struensee stellte und den Haftbefehl nicht unterschrieb oder sich über den Kopf von Eickstädt und Köller an seine Soldaten wandte? Dann war das Unternehmen Hochverrat, und alle, er selbst eingeschlossen, würden des Todes schuldig sein. Er trat ans Fenster. Draußen dämmerte es. Er ging unruhig im Zimmer auf und ab. Und selbst wenn alles gelingt, wer garantiert mir, dass Guldberg und Juliane ihr Versprechen halten? Vielleicht habe ich mich zwischen alle Stühle gesetzt. Wie, wenn es die Absicht wäre, mich nur in das Netz des Hochverrats zu locken?
Je mehr er diesen Gedanken bewog, umso wahrscheinlicher schien ihm, dass alles so angelegt war, um ihn reinzulegen. War es nicht besser, rasch auf die Seite Struensees zurückzutreten? Musste der ihm dann nicht ewig dankbar sein, wenn er ihm enthüllte, in welcher Gefahr er sich befand? Aber was, wenn die Verschwörer doch die Oberhand behielten? Guldberg würde sicher nicht zögern, ihn als Komplizen Struensees anzuklagen und hinrichten zu lassen.
Die ganze Situation war unentwirrbar, er war gefangen in der Dämonie des Verrates, der sich am Ende selber verraten muss. Er schlich sich zu Struensees Kabinett, wobei er darauf achtete, dass niemand ihn sah. Der Minister blickte überrascht auf, als Rantzau unangemeldet bei ihm eintrat. „Friedrich“, sagte er ohne Umschweife, „du befindest dich in großer Gefahr. Ich rate dir, nach Malmö zu flüchten.“
„Wie bitte? Was soll ich denn dort“, rief Struensee irritiert aus.
„Geh irgendwo hin! Nach Hamburg oder England, egal. Aber verlasse Dänemark. Ein Komplott … Umsturz …“. Der Graf begann zu stammeln und atmete schwer. „Mein lieber Rantzau“, erwiderte Struensee, „was hast du denn?“
„Flieh“, stöhnte Rantzau, „verlass Dänemark.“
„Ich kann und will nicht“, sagte Struensee, „ich muss neben dem König stehen. Außerdem ist es nun ruhig geworden, es gibt kaum noch Hetzschriften.“ Rantzau rang mit sich, ob er die Verschwörung verraten sollte. Als er den Mund öffnete, klopfte es an der Tür und Oberst Köller trat ein. Als er Rantzau erblickte, sah er ihn finster an. Struensee fragte: „Was kann ich für Sie tun, Oberst Köller?“
„Ihre Majestät, die Königin wünscht Sie zu sehen, Graf Struensee“, antwortete der Oberst. Der Minister verließ den Raum. Köller wippte auf seinen Fußballen vor und zurück, schielte zu Rantzau hinüber. Dieser seufzte und flüsterte ihm zu: „Er ist vollkommen ahnungslos. Er weiß von nichts.“
„Woher auch. Er kann
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