Der Fall Struensee
ja nur etwas wissen, wenn ein Verräter unter uns ist“, zischte Köller böse.
Nachdem Struensee nun auch von Rantzau eine dringende Warnung erhalten hatte, machte sich Panik in ihm breit. Was hatte das zu bedeuten? Er fühlte sich innerlich gespalten. Eine Hälfte in ihm war zum Äußersten entschlossen und fürchtete keinerlei Konsequenzen, die andere zitterte ängstlich vor einer unsichtbaren Bedrohung. Es war schwer zu begreifen, dass man, aufgefordert, ein großes Werk zu vollenden, als Mensch nicht mehr zählt, dass man sich voll und ganz hineinwerfen muss. Er sah einen Abgrund vor sich und fürchtete sich. Er wünschte, dass es etwas gäbe, das ihm Festigkeit verleihen könnte. Wenn er sich mit tausend Vernunftgründen von der Nichtigkeit des Lebens zu überzeugen suchte, schien ihm das Leben einzigartig, unwiederholbar und wie eine Aufgabe, die noch nicht vollendet war.
Viele Menschen waren des Lebens überdrüssig. Er gehörte nicht zu ihnen. Er wollte das Leben genießen. Und er hatte Angst, keine Zeit mehr zu haben, um seinen Traum zu verwirklichen: die Verbesserung der Welt oder doch wenigstens dieses Landes, dem er diente.
In den frühen Abendstunden des 16. Januar trafen die Verschwörer im Pastorenhaus an der Holmenskirche wieder zusammen. Diesmal war auch Erbprinz Friedrich, der Stiefbruder Christians, dabei. Er und seine Mutter hatten vor wenigen Tagen eine schwere Kränkung hinnehmen müssen. Vor Beginn der französischen Komödie wollten Juliane und Friedrich die königliche Loge betreten, als Brandt ihnen bedeutete, dass der König ihre Anwesenheit in der Loge nicht wünsche und dass ihm und seiner Mutter eine besondere Loge an der Seite, fern der Loge des Königs, zugewiesen sei. Gekränkt verließen sie daraufhin das Theater und fuhren nach Fredensborg zurück.
Der Erbprinz sagte: „Ich hatte ja einige Bedenken gegen die bevorstehende Aktion, aber meine Zweifel sind nun behoben. Es ist offensichtlich, dass Brandt und Struensee den König nach außen abschotten, ja mehr oder weniger gefangen halten. Ich fühle mich verpflichtet, für die Unverletzlichkeit des Königtums einzutreten. Meine Mutter hat sich bereit erklärt, heute Nacht mit dem König zu sprechen und seine Unterschrift zur Verhaftung der Grafen Struensee und Brandt zu verlangen.“
Dann besprachen sie die Einzelheiten und gingen auseinander. Erneut wurde Rantzau von Skrupeln heimgesucht. Er machte sich auf zum Haus von Struensees Bruder Carl. Er wollte ihn dazu auffordern, Struensee zu warnen. Doch der Justizrat war schon zum Schloss gefahren. Rantzau beauftragte einen Diener, Carl Struensee in sein Haus in die Bredegade zu bitten. Rantzau wartete, doch der Justizrat kam nicht. Ihm war zumute, als würde jeden Augenblick die Welt um ihn zusammenbrechen. Er presste sich die Hände an die pochenden Schläfen und stöhnte. Ein Gichtanfall durchzuckte schmerzhaft seine Beine. Er entledigte sich zitternd seiner Kleider und kroch ins Bett.
General von Eickstädt eilte zu der Baracke seiner Dragoner. Er stieß auf Leutnant Schleemann, der ihm etwas angetrunken vorkam. Er wies ihn an, die Pferde zu satteln und in Alarmbereitschaft zu bleiben.
In Christansborg sammelten sich die Gäste. Leises Summen erfüllte den Saal. Damen und Herren standen in Gruppen beisammen und warteten auf die Ankunft des Königspaares. Es war zehn Uhr, als der König und die Königin den Saal betraten. Mathilde trug eine schwarze spanische Tracht, ein schwarzes Spitzentuch über ihrem silberblonden Haar. Ein Gemurmel der Bewunderung erhob sich. Sie lächelte nach allen Seiten. Der König im Domino gab das Zeichen zum Beginn. Die Kapelle spielte. Rasch füllte sich der Saal mit tanzenden Paaren. Christian und Struensee setzten sich in eine Loge, tranken Champagner und unterhielten sich. Dann sagte der König: „Wenn ich recht sehe, hat die Königin schon mehrere Male ungeduldig zu uns hochgeblickt. Man darf eine Königin nicht warten lassen.“ Struensee verneigte sich, verließ die Loge, um mit der Königin zu tanzen.
Es schmeichelte ihm und beglückte sein Herz mit einem süßen Gefühl, dass die vornehmste und schönste Frau seine Geliebte war. Als er nach geraumer Zeit wieder mit dem König zusammentraf, hatte dieser seine Uhr in der Hand, starrte mit leerem Blick auf das Zifferblatt und sagte: „Ist es nicht seltsam, dass die Zeit niemals stillsteht?“ Struensee aber war es, als ob die Zeit angehalten worden wäre. Als er wieder zum Tanz eilte, sah
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