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Der Fall Struensee

Der Fall Struensee

Titel: Der Fall Struensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hausen
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undiplomatisch verhalten und einflussreiche Ärzte wie Unzer gegen sich aufbringen würde. Als Struensee sich verabschiedete, versprach Reimarus, ihn in die Impfmethode einzuweisen.
    Zum Glück hatte Struensee in Halle Lehrer wie Juncker gehabt, der es nicht bei theoretischen Ausführungen belassen, sondern seine Studenten zur praktischen Arbeit in Waisen-und Krankenhäusern angehalten hatte. Und obwohl das Waisenhaus in Halle vergleichsweise human gewesen war, waren ihm auch hier schon viele Missstände aufgefallen. Durch seine Arbeit in der Versandabteilung der Waisenhausapotheke war er dahinter gekommen, dass sogar sein geschätzter Lehrer Juncker, der nach außen gerne uneigennützig erschien, sich an selbst erfundenen Geheimmitteln bereicherte.
    Findlinge und Waisenkinder hatten ein schweres Los. Oft waren sie die Frucht unerlaubter Beziehungen. Ledige Mütter setzten ihr Kind aus, weil sie Angst vor demütigenden Strafen hatten, aber auch mittellose Eltern, die ihr Neugeborenes nicht großziehen konnten, taten das. Größere Kinder stammten nicht selten von Eltern, die an einer Seuche, zum Beispiel dem Fleckfieber gestorben waren. Die Mehrzahl der Kinder, die in Waisenhäuser aufgenommen wurden, starb nach kurzer Zeit, da die hygienischen Bedingungen und die Ernährung katastrophal waren. Die Kinder lebten auf engem Raum, in kalten, ungelüfteten Zimmern, zu viert in einem Bett. Kein Wunder, dass sich ansteckende Krankheiten wie Fleckfieber oder Pocken mit rasender Schnelligkeit ausbreiteten. Säuglinge litten ständig an Durchfall, da sie nicht ausreichend gestillt und stattdessen mit vorgekauten Kartoffeln gefüttert wurden.
    In Altona, wie auch in anderen Städten, wurden Waisenhäuser in Manufakturen umgewandelt, in denen die Kinder ab dem fünften Lebensjahr arbeiten mussten. Dieses Elend, dieser Schmutz! Diese bleichen Kindergesichter, aus denen triefende, traurige Augen blickten. Und da gab es noch Leute, die an diesem Elend verdienten! Hier müsste doch der Staat, die Obrigkeit eingreifen. Aber er konnte sich nicht lange mit Lamentieren aufhalten, er musste eine Lösung finden und für die Kinder, die er impfen wollte, eine isolierte Abteilung einrichten.
    Als er die Kinder im Waisenhaus untersuchte, erkannte er sogleich, dass einige an den Blattern erkrankt waren. Jetzt brauchte er mindestens zwei separate Räume. Er machte einen Riesenwirbel bei allen möglichen Behörden, benutzte auch skrupellos die Angst der zuständigen Beamten vor dem Ausbruch einer Epidemie. So erhielt er schließlich fünf Räume im Altonaer Krankenhaus. Zwei Zimmer reservierte er für die erkrankten Kinder, drei für die, die er impfen wollte. Er forderte zwei Mägde an, die die Kinder gründlich waschen und so gut wie möglich entlausen sollten. Jedes der Kinder erhielt einen eigenen Strohsack und saubere Kleidung. Er erklärte ihnen, was er vorhabe und wozu das gut sei. Er redete ihnen gut zu und versicherte ihnen, dass sie keine Angst zu haben brauchten.
    Nach wenigen Tagen zeigten sich bei den Erkrankten die ersten Pusteln. Struensee ließ wie verabredet Reimarus kommen, um sich von ihm in die Pockenimpfung einweisen zu lassen. Reimarus entnahm etwas Eiter aus einer der Pusteln, fügte dem ersten Kind einen leichten Schnitt am Oberarm zu und gab etwas davon hinein. Eine Helferin verband den Schnitt. Auf diese Weise impfte er zwei weitere Kinder, die restlichen übernahm Struensee selbst.
    In den nächsten Tagen fuhr der Stadtphysikus, der auch Landphysikus der Herrschaft Pinneberg war, zu den Herrenhöfen, um die Kinder der Knechte zu impfen. Danach hatte er eine Unterredung mit seinem Vater. Er versuchte nicht, ihn von der Inokulation zu überzeugen, aber er setzte ihm auseinander, dass man durch einen anderen Umgang mit den Blattern viele Menschenleben retten könne. Der Generalsuperintendent wandte wie erwartet ein: „Es ist verwerflich, den Ausschlag zu verhindern oder zu unterdrücken, da er in solchen Fällen leicht zurückschlagen und zu schweren inneren Störungen führen kann.“
    „Vater, ich beschwöre dich! Diese Ansicht ist überholt. Nach meiner Erfahrung als Arzt ist es so, dass kühlende Umschläge eine Linderung des gefährlichen Entzündungsprozesses während der Pustelbildung und eine fast narbenlose Heilung herbeiführen. Das lehren auch die Ärzte Sydenham und Hahn.“
    Nach zähem Kampf erreichte Struensee, dass die Pastoren die Landbevölkerung von der Kanzel herab vor der hitzigen Kur warnten.

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