Der Fall Struensee
zu besinnen, wie viele Wochen er bereits im Kerker war. Aber er wusste es nicht. Es kam ihm lange vor, sehr lange. Geradezu unendlich. Als er Juel fragte, sagte dieser ihm, es seien nunmehr drei Wochen.
Ihn überkam einige Male das Gefühl, als lebe er unter Wasser. Wie in einer Taucherglocke tief unten im Meer, von der Welt vergessen. Wirr hingen ihm die Haare ins Gesicht, ein dichter Bart war ihm gewachsen. Während dieser Zeit gaben seine Feinde sich Mühe, Beweise für eine Anklage zu finden. Nicht weniger als vier Kommissionen werden eingesetzt, und sie durchschnüffelten in rastlosem Fleiß die Briefe der Königin, alle Unterlagen Struensees, vor allem seine Dekrete, wobei die Kommission von vornherein Weisung hatte, sich nur auf die belastenden Fakten zu konzentrieren, alle gleichgültigen und entlastenden beiseite zu lassen.
Trotz dieser Vorgabe fand sich nichts. Keinerlei Beweis für die Absicht, den König entmachten zu wollen. Aber brauchten sie den überhaupt? Am 13. Februar wurde das Geheimconseil aufgelöst und neu zusammengesetzt. Christians Unterschrift hatte außerhalb des Staatsrates keine Gültigkeit mehr. Der Hof stürzte sich in einen Taumel von Festlichkeiten und Christian fuhr zusammen mit dem Erbprinzen im Schlitten durch die Hauptstadt, nach Frederiksborg und Frydenlund, als freue er sich seiner wiedergewonnenen Freiheit, die ihm durch den Sturz Struensees ermöglicht worden war.
9. Die Verhöre
Eines Morgens erschien Juel sehr aufgeregt. Er teilte Struensee mit, dass das Verhör noch heute beginnen sollte. Struensee begann zu zittern. Hinter dem Wärter trat ein Bader ein, der dem Gefangenen den Bart abrasierte und die Haare kürzte. Der Wärter nahm ihm die Ketten ab, er bekam Wasser zum Waschen und saubere Kleider. Welche Wohltat! Über vier Wochen hatte er dieselben Kleider, dieselbe Leibwäsche getragen und sich niemals waschen können. Er fühlte sich sofort besser und zuversichtlicher, nachdem er sich gereinigt und die einfachen, aber sauberen Kleider angelegt hatte. Er hatte nie die Wasserphobie seiner Zeitgenossen geteilt, regelmäßige Körperpflege war für ihn selbstverständlich. Durch reines Wasser wurden gewiss keine Krankheiten übertragen, wie viele glaubten. Im Gegenteil. Hygiene war wichtig, um Krankheiten zu bannen. Jetzt erst fiel ihm auf, wie leicht er sich ohne die Ketten fühlte. Er seufzte.
Während er durch die labyrinthartigen Gänge der Zitadelle zum Verhörraum geführt wurde, gingen ihm tausend Dinge durch den Kopf. Endlich nahte die Stunde, die ihm seine Ungewissheit nehmen würde. Er wurde in die Amtsstube des Festungskommandanten geführt. Ein Sessel wurde herbeigerückt. Als er sich setzte, wurde ihm bewusst, dass er lange nicht mehr so bequem gesessen hatte. Vor ihm stand ein Tisch, der mit grünem Tuch überzogen war. Darauf standen ein Kruzifix, dickleibige Bücher, Tintenfässer, Akten und Federn. Der Vorsitzende der Kommission, General Lurdorph nahm mit seinen assistierenden Räten Bram und Wind hinter diesem Tisch Platz. Lurdorph trug eine Uniform mit großen Epauletten. Er war ein behäbiger Mann mit einem blatternarbigen Gesicht. Wind und Bram dagegen waren grau gekleidet und sehr dünn. Sie trugen gelangweilte Gesichter zur Schau.
General Lurdorph hob an: „Es wäre am besten, Herr Graf, wenn Sie ein umfassendes Geständnis ablegen würden. Das würde uns die Arbeit und Ihnen die Strafe erleichtern.“
„Ja, wenn ich nur wüsste, wessen ich angeklagt bin“, antwortete Struensee leicht ironisch. „Hochverrat“, donnerte der General und sah den Delinquenten drohend an. „Gegen das dänische Volk und den König, gegen den Kronprinzen und die Königin“, ergänzte Wind mit Fistelstimme. „Also gegen alle“, sagte Struensee fassungslos. „Gegen den Adel und die Geistlichkeit, die Königinwitwe und den Erbprinzen“, fasste Bram zusammen. Struensee atmete geräuschvoll aus und fragte: „Wie kommen Sie zu so einer umfangreichen Anklage?“
„Gestehen Sie, Graf Struensee, dass Sie seinerzeit gegen jedes Recht das Kabinett Bernstorff gestürzt und durch einen so genannten Königlichen Rat ersetzt haben, an dessen Spitze Sie sich selbst stellten. Und dass das letzte Ziel dieses Umsturzes Ihr Plan war, sich zum Alleinherrscher aufzuwerfen“, fuhr ihn der General an.
„Der König hat das Kabinett Bernstorff entlassen, nicht ich. Er wollte sich nicht länger vom Geheimconseil gängeln lassen. Sie werden seine Unterschrift unter dem Erlass
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