Der Fall Struensee
wüsste nicht, dass Sie über meine Reformen hergezogen sind und gegen mich gehetzt haben? Und jetzt wollen Sie sich mir aufdrängen. Sie und ich liegen in unseren Meinungen unendlich weit auseinander, und ich habe in meiner Situation wahrlich keine Lust für sinnlose Diskussionen.“
„Lieber Herr Graf, das alles spielt nunmehr gar keine Rolle. Rundheraus, ich bin hier um Sie auf Ihren vielleicht nahe bevorstehenden Schritt in die Ewigkeit vorzubereiten.“
„Soviel ich weiß, ist das Urteil noch nicht gefällt.“ Der Geistliche lächelte milde: „So haben Sie noch Hoffnung?“
„Gewiss nicht, nein. Ich wundere mich nur über Ihre Voreiligkeit. Vielleicht hätten Sie warten sollen, bis das Urteil gesprochen ist.“
„Gut, wir können uns ja einstweilen über philosophische Themen unterhalten. In Ihrer Lage kann man nicht wählerisch sein, was die Gesprächspartner angeht.“ Struensee antwortete nicht und starrte an die Decke. „Ich weiß, dass Sie weder an eine Ewigkeit glauben, noch daran, dass Sie eine Seele haben. Sie sind der Meinung, dass der Mensch eine bloße Maschine ist.“ Struensee konnte sich nicht zurückhalten, darauf zu antworten. Er war immerhin seit acht Wochen in Einzelhaft, da erlag er dem Wunsch, ein geistreiches Gespräch zu führen.
„Natürli ch habe ich mich mit der Lehre von Lamettrie auseinandergesetzt, doch muss ich sagen, dass zwischen einem Automaten und einem Menschen ein Unterschied besteht. Eine Maschine wird von einem Mechaniker zusammengesetzt und aufgebaut, aber sie besitzt keine Empfindung. Diese ist zwar flüchtig und ungreifbar, dennoch macht sie die Lebendigkeit eines Menschen aus. Entscheidend ist: Nach Lamettrie hängen der Körper und die Seele eng zusammen und man kann den Körper nicht ohne die Seele und die Seele nicht ohne den Körper denken. Das bedeutet, dass wenn der Körper stirbt, auch die Seele stirbt.“
„Somit gibt es keine Unsterblichkeit?“
„Nein.“
„Ist es für Sie kein unangenehmer Gedanke, dass Sie vielleicht bald nicht mehr existieren werden?“, fragte Münter und schon hatte er den Delinquenten dort, wo er ihn haben wollte. „Natürlich ist es schmerzlich. Aber gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, und ich muss mich wohl in mein Schicksal fügen. Der Tod tritt für mich früher ein, als ich gedacht habe. Aber das ist nicht so wesentlich. Ich hätte auch mit zwanzig Jahren an Fleckfieber sterben können. Mein Los ist letztlich das Los aller Menschen. Ich sehe keinen anderen Weg, als mich in Gleichmut in die Tatsache abzufinden, dass ich bald sterben werde. Epikur sagt dazu: „ Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Diese Erkenntnis macht die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“
„Sind Sie sich sicher, dass Sie angesichts dessen, was Sie erwartet, nicht den Mut und die Ruhe verlieren werden?“ Struensee fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schwieg. Münter beobachtete ihn gespannt. Dann antwortete der Gefangene: „Ich erwarte nicht, dass es leicht sein wird. Vor allem weiß ich nicht, ob ich – falls ich gerädert werden sollte – die Schmerzen einer solchen Hinrichtung mit Standhaftigkeit ertragen werde. Ich bin kein Held.“
Münter nickte bedächtig und ergänzte: „Außerdem fürchten Sie das Urteil der Welt. Sie befürchten, aus Angst vor den Schmerzen ihre Ideale zu verraten. Dass Ihr Gleichmut sie verlässt und der Menge ein Schauspiel bieten, das sie sich insgeheim wünscht.“ „Sie haben eine merkwürdige Art Trost zu spenden“, sagte Struensee angewidert.
„Die Philosophen, stolz auf ihr Wissen, waren von jeher geneigt, dessen Bedeutung zu überschätzen. Und der Verstand kann auch sehr gut ohne Gott auskommen. Aber der Mensch kann nicht wahrhaft leben, ohne die Gewissheit von etwas Unzerstörbarem zu haben.“
„D avon, dass es ein ewiges Leben gibt, werden Sie mich nicht überzeugen können.“ Münter hob scheinbar resigniert die Hände und ließ sie auf seine Knie fallen. Dann erhob er sich und sagte: „Ich muss nun gehen. Aber ich werde wiederkommen.“
Münter hastete nach Hause und schrieb nieder, was ihm der Angeklagte gesagt hatte, beziehungsweise was er
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