Der Fall Struensee
Leichtsinnig haben Sie Erlasse herausgegeben, ohne zu untersuchen, was sie für die Nation für Folgen haben könnten.
Mit eilfertiger Entschließung wählten Sie Staatsdiener aus, oft ohne sie zu kennen, ohne Ihrer Fähigkeit und Treue gewiss zu sein. Ebenso unüberlegt entfernten Sie rechtschaffene, allgemein für sehr brauchbar erkannte Leute aus ihren Positionen. Mit Gleichgültigkeit sahen Sie dem Elend und dem Hunger zu, die sich während Ihrer Administration besonders sichtbar in der Hauptstadt verbreiteten.“
Empört richtete Struensee sich auf und rief aus: „Sie maßen sich ein Urteil an über meine Anordnungen, obwohl Sie offenbar keine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen haben. Hunger gab es aufgrund einer Missernte. Ich habe das Importverbot für Getreide aufgehoben und den Export verboten. Ich habe die königlichen Speicher öffnen und zweitausend Tonnen Korn zu niedrigen Preisen an alle Bedürftigen verkaufen lassen. Und ich habe verboten, aus kostbarem Getreide billigen Fusel zu brennen. Im Übrigen stammt das Elend auf Kopenhagens Straßen daher, dass die Bauern durch Frondienst, zu viele Abgaben und entwürdigende Behandlung genötigt werden vom Land in die Stadt zu fliehen. Auch ihre Situation wollte ich mit meinen Reformen verbessern. Ich habe niemals leichtsinnig gehandelt oder gar mit Gleichgültigkeit zugesehen.“
Münter blickte zu Boden und Struensee fuhr fort: „Ich erstrebte eine helle, freundliche Welt ohne pietistisches Duckmäusertum und Heuchelei. Ich wollte, dass sich die Leute am Leben erfreuen, Theater und Musik genießen. Bei Euch ist ja jede Freude sofort eine Sünde. Von solchen Vorstellungen wollte ich die Menschen befreien – das ist mir von Euch und Euresgleichen übel ausgelegt worden.“ Struensee schluckte, holte tief Luft und stieß wütend hervor: „Ich weigere mich an einen Gott zu glauben, der seine Geschöpfe zu Selbsterniedrigung und Demut nötigt, sie ständig überwacht und willkürlich straft. Diese Art von Religion halte ich für gesundheitsschädlich! Bleiben Sie mir vom Hals damit.“
„Sie versuchen, Gott mit dem Verstand zu erfassen. Aber ein verstandener Gott ist kein Gott mehr. Gott entzieht sich unseren Begriffen. Aber wenn wir auf Jesus vertrauen und seinem Wort glauben, dann ist Gott ein liebender Vater.“
„Wenn das, was mein Vater mir entgegengebracht hat, Liebe ist, dann möchte ich lieber nicht geliebt werden. Ebenso geht es mir mit Gott. In meiner Kindheit hat man mir beigebracht: ‚Wen Gott liebt, den züchtigt er .′ Auf diese Art von Liebe kann ich verzichten“, rief Struensee aufgebracht. Münter schüttelte den Kopf und seufzte. „Sie sind wirklich ein schwieriger Fall. Es wird nicht einfach für mich sein, Ihnen den rechten Weg zu weisen. Sie halten sich doch zugute, ein Menschenkenner zu sein. Da müssten Sie doch wissen, dass man ohne Strenge nichts ausrichten kann.“
„Ich habe einmal gesehen, wie eine uneheliche Mutter, noch geschwächt von der Geburt, vor dem Rathaus von einem Stadtdiener mit einer neunschwänzigen Katze ausgepeitscht wurde, bis sie ohnmächtig wurde. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass diese Frauen eine Schwangerschaft verheimlichen oder ihr Kind töten. Ist das die Strenge, von der Sie sprechen?“
„Liederliche Weibspersonen! Wenn man die Strafen aufhebt, wie Sie das getan haben, öffnet man ja der Buhlerei Tür und Tor. Sie haben den Wächtern der Sittlichkeit ihr Amt genommen.“
„ O ja, und mit Vergnügen“, rief Struensee aus. „Ich habe erkannt, dass die Ausstoßung der ledigen Mütter aus der menschlichen Gemeinschaft zur Folge hat, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder der Bettelei, dem Diebstahl oder Hurerei verfallen. Was bleibt ihnen sonst übrig?“
„Na, allenfalls doch das Spinnhaus“, sagte Münter mitleidslos, worauf Struensee schwieg. Da der Geistliche keine Anstalten machte, zu gehen, fuhr Struensee fort: „Man sperrt die Bettler haufenweise in dunkle, ungesunde Verschläge ein, behält sie da, bis sie hinfällig und alt geworden sind. Dann wirft man die Ältesten, die aus Mangel an Luft, schlechter Kost und mangelnder Hygiene elend geworden sind, ohne Geld oder andere Hilfe aus dem Zuchthaus hinaus. Man ermahnt sie, nicht wieder zu betteln, sonst würden sie erneut eingesperrt. Das ist doch ein Hohn ohnegleichen. Damit ist weder den Mittellosen noch der übrigen Gesellschaft gedient. Überhaupt wird in Zuchthäusern auf die Gesundheit
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