Der Fall von Katara
und schaute sich den Platz genauer an. Der Boden hatte ein Fischgrätenmuster. Weiter hinten war ein kleiner Brunnen. Sie sah die üblichen Fischräucherbuden, Anglereibedarfsstellen und Wochenverkaufsstände, die aus Steinfischtischen bestanden und nahtlos aneinandergereiht waren, damit in früheren Zeiten Waren auf ihnen feilgeboten werden konnten. Dort drüben waren einige Sitzbänke unter Steineichen und noch weiter hinten an den Felswänden mussten sich wohl die ehemaligen Zuchtbecken für die pflegebedürftigen Steinfische befinden.
In der Ferne erspähte Frau Alonis die Höhlenbehausungen der einstigen Steinfischer, und zu ihrer Linken existierten noch zerfallene Souvenirläden, die es damals zuhauf am Gutzwerg-Platz gegeben hatte. In früheren Zeiten war jeder noch unnütze Tand angeboten worden: Fischschrumpfköpfe, Haarspaltbeile und Wortsuchgeräte. Rechts vom Gutzwerg-Platz sah sie die ehrenwerte Abschreiberei, die leider von niemandem mehr frequentiert wurde. Keiner wollte in diesem Rattenloch wohnen, außer Exil-Plagiatoren und Fischfetischisten. Aber auch diese Spezies waren am Aussterben und auf Poligäa nur noch dünn gesät.
Die Schwarze Dame lief auf den Brunnen zu und sah einen Holzeimer dort stehen, dessen Henkel an einem langen, verstaubten Seil angebunden war. Der Eimer war aus Granitbuchen hergestellt und schien nach all den Jahren immer noch dicht zu sein. Das Seil war aus Kunstspinnenseide geflochten und für mindestens tausend Jahre haltbar. Über dem Brunnen war eine Seilwinde angebracht, die einen stabilen Eindruck machte.
Frau Alonis schaute über den Rand in den Brunnen hinein und sah nur Dunkelheit. Sie lauschte in die Tiefe. Es plätscherte leise. Die Anwesenheit von klarem Wasser machte sie sehr durstig. Sie packte den Eimer, ließ ihn hinunterfallen, wartete eine Weile, bis er vollgelaufen war, und zog ihn danach wieder hoch. Als sie ihn oben hatte, packte sie ihn am Henkel, zog den Eimer zu sich her und stellte das schwere Ding auf den Boden neben dem Brunnen ab. Das Wasser schien klar und sauber zu sein. Sie tauchte ihre Hände darin ein und spürte das kühle Nass. Es leuchtete in allen Farben. Mit bloßen Händen trank sie das köstliche Brunnenwasser. Es schmeckte süß und ein bisschen nach einem Cocktail exo-planetarer Früchte. Nun fehlte nur noch ein gutes Stück forensischer Rattenspeck, hedonischer Höhlenkäse, getrocknete Mamaya-Scheiben und Chilisoße. Nachdem Frau Alonis getrunken hatte, steuerte sie auf die Steineichen zu und wollte sich das Nahrungspaket einverleiben, das sie mit sich trug. Sie setzte sich auf die kalte Bank und packte ihre Sachen aus.
Als sie die Dose mit dem hedonischen Höhlenkäse aufmachte, stieg ein Aroma empor, das einer Mischung aus vergrabenen Eiern und vergorenem Fischlaich sehr nahekam. Der Käse war brüchig und zerfiel ohne ihr großes Zutun in immer kleinere Teile. Der forensische Rattenspeck war in hauchdünne Scheiben geschnitten und hatte einen leicht nussigen, algigen Geschmack. Er zerging mit dem Käse im Mund wie Butter. Frau Alonis nahm eine getrocknete ungeschwefelte Mamaya-Scheibe, dippte sie in die süßsaure Chili-Fischsauce, warf sie in den Mund zu den anderen Speiseresten und hatte nun die vollendete Geschmackskombination beisammen. Sie hoffte, dass Rotbert noch lange nicht kommen würde, damit sie die leckeren Sachen nicht mit ihm teilen müsste. Sie kaute, schmatze und aß hektisch. Ihr Hals fühlte sich wie ein Reibeisen an, als sie versuchte, die großen Bissen hinunterzuwürgen.
„Ein Schluck Wasser wäre jetzt nicht schlecht“, dachte sie sich.
Frau Alonis legte ihre Esssachen auf die Bank, damit sie aufstehen konnte, um zum Brunnen hinüberzugehen, aber erstarrte vor Schreck. Sie sah wieder diesen Gutzwerg neben sich sitzen und fixierte ihn wie eine Schlange ihr Opfer, während sie die Esssachen aus der Hand sachte auf die Bank gleiten ließ.
„Wo bist du hingegangen, Federike? Ich habe dich überall gesucht“, fragte er.
„Was? Du warst weg. Ich habe dich gesucht“, ereiferte sie sich.
„Ich habe nur kurz meine Gesundheitszigaretten geholt, und danach warst du auf einmal verschwunden. Ich dachte, du verlässt mich jetzt?“, sagte er traurig.
„Äh, leider…nein“, meinte sie.
Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie spürte, wie ihre Welt wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Sie versuchte krampfhaft, ihre Gedanken zu ordnen. Er war gegangen, um sich Gesundheitszigaretten zu holen? Gut.
Weitere Kostenlose Bücher