Der Fall von Thormain
aufgelöst, und Strähnen des blonden Haares hingen ihr ins Gesicht.
»Aber du weinst ja, Herzchen«, stellte Argur bedauernd fest. »Was ist dir Schreckliches widerfahren, dass Tränen dein Antlitz nässen?«
»Herr.«, kam es über die zitternden Lippen, dann brach ihr die Stimme. Als Argur mit beiden Händen nach ihr griff, richtete sie sich auf und fuhr mit flehender Stimme fort: »Herr, bitte hilf mir! Man hat meinen geliebten Milchbruder zum Richtplatz geschleppt und will ihn an den. Schultern zu Tode hängen. Aber er hat dir nichts getan. Was man ihm auch vorwirft, er ist unschuldig. Wenn du, als Herrscher von Thormain, ein Wort sprichst und Mythor Gnade widerfahren lässt, will ich auf ewig deine Dienerin sein.«
»Na, na«, machte Argur beruhigend. Er blickte zu Welleynn, schnippte mit dem Finger und sagte in befehlendem Ton: »Erlasse dem Verurteilten die Strafe und schenke ihm die Freiheit!«
Welleynn zog sich wortlos zurück und ging zu einem der Fenster, um den Henkern ein Zeichen zu geben.
»Danke, Herr.« Kalathee ergriff Argurs Hand und küsste sie dankbar. Er aber entzog sie ihr und hob ihr Gesicht. Es verschlug ihm den Atem. In ganz Thormain gab es keine Frau, die mit dieser vergleichbar gewesen wäre. Er hatte schon lange nicht mehr in ein so sanftmütiges Gesicht geblickt, keine Frau mehr gesehen, bei der sich kindliche Unschuld mit Sinnlichkeit in diesem Maß paarte.
»Du sollst noch Gelegenheit bekommen, deine Dankbarkeit zu beweisen«, sagte Argur. Er würde das Gespräch mit Welleynn rasch zu einem Abschluss bringen und sich dann diesem schönen Kind zuwenden. »Dein Milchbruder ist begnadigt, du kannst zufrieden sein. Oder?« Diese Frage schloss er an, als er sah, dass Kalathee den Blick betroffen senkte.
»Was willst du noch?« fragte Argur misstrauisch. »Ist dir das Leben deines Milchbruders nicht genug? Soll ich ihn noch in Seide und Hermelin kleiden?«
»Das ist es nicht«, sagte Kalathee mit kaum vernehmlicher Stimme. »Aber meine Freunde Nottr und Sadagar, die auch im Kerker schmachten müssen, sind ebenso unschuldig. Wäre es vermessen, auch um ihre Begnadigung zu bitten?«
»Was wirft man diesen Leuten vor?« fragte Argur seinen Scharfrichter, der eben zurückkam.
»Wir sind harmlose Spielleute, die nichts anderes wollen, als die Menschen mit ihrem Spiel und Gesang zu erfreuen«, sagte Kalathee schnell. »Wir haben nichts Verwerflicheres getan, als…«
»Genug!« sagte Argur, als er von Welleynn einen Wink bekam. »Ich werde das schon richten. Geh voraus in meine Gemächer, Kindchen, eine Zofe wird dich betreuen. Ich komme bald nach und werde vermutlich eine erfreuliche Nachricht für dich mitbringen.«
»Danke.« Kalathee wollte offenbar noch etwas hinzufügen, aber zwei Wachen drängten sie vom Thron fort.
Welleynn kam die Stufen zum Thron hoch und ließ sich auf dem Bärenfell daneben nieder.
»Was ist das für eine Geschichte?« erkundigte sich Argur stirnrunzelnd. »Warum lässt du diesen Mythor ausgerechnet dann schultern, wenn du mir seine Milchschwester als Bettwärmer bringst?«
Der Scharfrichter lächelte, aber seine Augen blieben dabei kalt. »Im Vertrauen, Argur«, sagte er dabei, »es war gar nicht Mythor, dessen jämmerliche Schreie du hörtest. Ich habe das der Frau nur eingeredet, damit du deine Großmut zeigen und sie dir auf diese Weise gefügig machen kannst.«
Ein verstehendes Lächeln zeigte sich auf Argur von Solths Gesicht. Es verschwand jedoch sofort wieder, als Welleynn fortfuhr: »Allerdings habe ich nicht nur an die Befriedigung deiner fleischlichen Begierden gedacht. Die Frau und ihre Freunde scheinen mir mehr als harmlose Musikanten zu sein. Ich möchte, dass du sie zum Sprechen bringst und von ihr erfährst, was sie wirklich in Thormain wollen.«
»Was vermutest du denn?« fragte Argur.
Welleynn hob die Schultern. »Yargh Mainer, der sie an mich auslieferte, hat die vier belauscht und behauptet, dass sie eine Verschwörung planen. Mythor, der ohne Zweifel der Anführer ist, hat Erkundigungen über den thormainischen Brunnen eingeholt. Das erscheint mir verdächtig. Ich möchte wissen, was die vier vorhaben, und das geht am ehesten über Kalathee. Sie ist in deiner Abhängigkeit, du kannst alles von ihr haben.«
»Ich werde sie nebenbei aushorchen«, versprach Argur von Solth. »Aber ich verstehe deine Befürchtungen nicht, Welleynn. Diese vier Leute können uns doch nichts anhaben. Gegen unsere Übermacht stehen sie auf verlorenem
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