Der Fall
»Warum hast du dich denn heute so in Schale geschmissen?«, fragte Jared.
»Du weißt doch, wie das hier in der Gegend ist«, sagte Barrow, während er das Sakko auszog und den Krawattenknoten lockerte. »Hier will jeder Eindruck schinden.« Er ging hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in seinen abgenutzten Ledersessel plumpsen. Das Büro war klein und eng, aber Barrow wusste, die Lage garantierte ihm eine Klientel, die ihre Rechnungen rechtzeitig zahlte. »Was gibt es Wichtiges, dass du extra hier vorbeikommst?«, fragte er.
»Um ehrlich zu sein, ich habe Angst, in meinem Büro auch nur ein offenes Wort zu reden«, antwortete Jared. »Die Wände haben Ohren.«
»Alle Wände haben Ohren. Die entscheidende Frage ist: Wer hört mit?«
»Ich weiß, wer mithört. Deshalb möchte ich auch wissen, was du noch herausgefunden hast.«
»Also, wenn es dich beruhigt, ich habe mir die Firmenunterlagen ein bisschen angesehen und herausgefunden, dass Raffertys Teilhaber bei Echo Enterprises kein Geringerer als der vor kurzem verstorbene Arnold Doniger war.«
»Was?«, entfuhr es Jared.
»Sie waren jahrelang Partner – die Firma hat sich im Lauf der Zeit zu einer wahren Goldgrube entwickelt.«
»Du machst wohl Witze! Dann hat Rafferty also Doniger aus dem Weg räumen lassen, damit ihm die Firma allein gehört?«
»Hängt davon ab, wer die Firma bekommt«, sagte Barrow. »Aber das wird sich bald zeigen.«
»Was ist mit Raffertys Telefon? Hast du schon etwas unternommen, um es abzuhören?«
»Das wollte ich eigentlich gestern machen, aber ich kam nicht dazu. Zumindest habe ich mir seine Telefonrechnungen schon mal angesehen.«
»Und?«
»Nichts und. Da die Ortsgespräche nicht einzeln aufgeführt sind, kann ich nicht feststellen, mit wem er telefoniert hat. Sara könnte sie sich allerdings beschaffen. Die Staatsanwaltschaft kann verlangen, jedes einzelne Gespräch aufgeführt zu bekommen.«
»Komm mir bloß nicht mit der Staatsanwaltschaft! Die kannst du vergessen – die helfen uns bestimmt nicht. Ich brauche diese Informationen sofort. Verstehst du?«
Barrow klopfte mit den Daumen auf den Schreibtisch und sah Jared fragend an. »In der Hochzeitssuite herrscht anscheinend immer noch schlechte Stimmung.«
»Entschuldigung, das war nicht gegen dich gerichtet. Bei Sara und mir hängt nur im Moment der Haussegen etwas schief.«
»Sie hat dich rausgeworfen, und das nennst du, der Haussegen hängt schief?«
»Woher weißt du überhaupt, dass ich ausgezogen bin?«
»Es ist mein Job, Bescheid zu wissen.«
»Aha, dann hat es dir also Kathleen erzählt.«
»Natürlich weiß ich es von Kathleen. Von wem sonst? Sie macht sich Sorgen um dich. Sie meint, du wärst auf einmal richtig verbohrt – hättest sogar ein neues Stück für deine Kinosammlung verschmäht.«
»Das hat nichts damit zu tun, dass ich zu Hause ausgezogen bin. Ich möchte lediglich den Fall gewinnen.«
»Und Sara hat dir offensichtlich Anlass zu der Annahme gegeben, dass dir das nicht mehr gelingt?«
»Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Es ist nur so, dass sie vor zwei Tagen bereits angeschlagen am Boden lag, und mit einem Mal ist sie wieder auf den Beinen und fängt an zu fighten wie Muhammad Ali. Plötzlich ist wieder sie am Drücker.«
Barrow beobachtete, wie Jared an seiner Krawatte herumspielte. »Du kannst anscheinend wirklich nicht verlieren, wie?«
»Es gibt nichts, was ich schlimmer finde.«
»Und dass du auch noch ausgerechnet gegen deine Frau verlierst, macht das Ganze noch schlimmer.«
»Ich weiß nicht. Es geht um mehr als das.«
»Um mehr als deine Ehe? Was könnte noch wichtiger sein?«
»Nichts, worüber ich wirklich sprechen möchte«, sagte Jared verzweifelt. »Bitte, lassen wir dieses Thema.«
Darauf trat erst einmal betretenes Schweigen ein, bis Barrow sagte: »Du steckst wirklich in der Klemme, J, nicht wahr?«
Jared zeigte keine Reaktion.
Darauf beugte sich Barrow vor, zog die unterste Schreibtischschublade heraus und nahm eine Handfeuerwaffe Kaliber 38 heraus. »Hier. Für alle Fälle.«
Jared nahm die Waffe von Barrow entgegen und sah sie an. »Ich weiß nicht. Dafür bin ich eigentlich nicht der Typ.«
»Wenn du so tief in der Klemme steckst, wie ich glaube, solltest du eine Waffe haben.« Barrow zog ein Hosenbein hoch, so dass eine kleinere Pistole in einem ledernen Schienbeinholster zum Vorschein kam. Nachdem er es abgenommen hatte, reichte er es Jared. »Wenn du die große nicht magst, nimm die
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