Der Fall
sie übersehen haben könnte. Schließlich fragte sie: »Ms. Doniger, hat Ihr Haus eine Alarmanlage?«
»Wie bitte?«
»Ihr Haus – hat es eine Alarmanlage?«
»Ja, hat es. Aber ich muss an besagtem Abend vergessen haben, sie anzustellen, weil sie nicht losging.«
»Und gab es irgendwelche sichtbaren Spuren gewaltsamen Eindringens? Ein zerbrochenes Fenster? Irgendwelche andere Zugangsmöglichkeiten außer der Haustür, durch die der Mann ins Haus gekommen sein könnte?«
»Nicht, dass ich wüsste. Nein. Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich bin mit Freunden verabredet und ohnehin schon spät dran. Könnten wir das vielleicht ein andermal klären?«
»An sich müsste das sowieso schon alles sein«, sagte Sara. »Vielleicht können wir es ja noch einmal gemeinsam durchgehen, bevor am Montag die Grand Jury zusammentritt.«
»Ja. Sicher. Wir können später noch einmal darüber sprechen.«
Als Sara auflegte, machte sie sich noch ein paar weitere Notizen auf ihrem Block.
»Das würde ich nicht tun«, warnte Guff sie, der gerade das Büro betrat.
»Was?«
»Sich Notizen machen. Sie sollten sich eigentlich nie Notizen machen.«
»Warum das denn?«
»Weil Sie in New York jede vorher aufgezeichnete Aussage einer Person, die Sie als Zeuge aufrufen wollen, vor Prozessbeginn an die Verteidigung weiterleiten müssen. Deshalb empfiehlt es sich, nichts aufzuschreiben.«
»Wollen Sie damit sagen, wenn mein Zeuge bei der Verhandlung plötzlich etwas ganz anderes erzählt als jetzt, kann die Verteidigung diese Notizen benutzen, um uns vor Gericht wie die letzten Idioten dastehen zu lassen?«
»So will es das Gesetz.« Guff warf einen Aktenordner auf Saras Schreibtisch. »Übrigens, ich habe die Informationen über die anderen neuen SBAs, die Sie haben wollten.« Während Sara den Ordner aufklappte, fuhr Guff fort: »Insgesamt haben achtzehn andere SBAs am selben Tag wie Sie angefangen. Bisher ist es jedem von ihnen gelungen, sich zumindest ein paar Fälle zu beschaffen. Ich habe sie nach Fallkategorien gegliedert.«
Beim Überfliegen der Liste stellte Sara fest, dass alle mindestens drei geringfügige Vergehen hatten. Darüber hinaus hatten neun ihrer Kollegen ein Verbrechen, und zwei assistierten bei einem Totschlag. »So was Blödes«, zischte Sara. »Warum müssen in New York nur alle so ehrgeizig sein?«
»Das liegt in der Natur der Sache. In dem Moment, in dem Sie sich in dieser Stadt vornehmen, irgendetwas zu tun, stehen vor Ihnen schon mindestens fünfhundert andere Leute Schlange, um das Gleiche zu tun.« Guff warf beide Arme in einer weit ausholenden Bewegung durch die Luft. »Das mag vielleicht blöd aussehen, aber in genau diesem Moment gibt es mindestens ein Dutzend anderer Leute in dieser Stadt, die genau das Gleiche tun. In New York gibt es keine originellen Gedanken. Das ist das Schöne an unserem ehrgeizigen Untier.«
»Das gerade dabei ist, einen Happen aus meinem Allerwertesten zu beißen.«
»Ich verstehe gar nicht, warum Sie das überrascht. Als die Kürzungen angekündigt wurden, fing doch sogar die letzte Schlafmütze in dieser Behörde an, auf superproduktiv zu machen.«
»Dann sollte ich vielleicht noch eins drauflegen. Vielleicht kann ich noch ein paar Fälle mehr kriegen.«
»Es geht nicht darum, wie viele Sie haben; es geht darum, wie viele Sie gewinnen«, sagte Guff. »Und wenn man bedenkt, dass Sie schon fünf haben, würde ich mir nicht noch mehr aufhalsen.«
»Aber zwei davon werde ich außergerichtlich …«
»Sara, was macht Ihrer Meinung nach mehr Eindruck: Wenn Sie ein Dutzend Fälle bearbeiten und nicht mehr zurechtkommen oder wenn Sie nur fünf Fälle abwickeln, und die aber gründlich und professionell?«
»In New York? Ich würde sagen, das Dutzend.«
»Jetzt hören Sie mal! Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt.«
»Ich weiß, es ist nur –«
»Sie sind versucht, sich mehr Fälle unter den Nagel zu reißen. Das kann ich verstehen. Aber glauben Sie mir, mit je mehr Bällen Sie jonglieren, desto eher lassen Sie alle fallen. Schmeißen Sie die Nieten raus, halten Sie sich an die guten Fälle, und gewinnen Sie, was Sie behalten. So wird man auf Sie aufmerksam werden.«
»Wenn es also danach aussieht, dass wir eine Chance haben, gehen wir aufs Ganze, und wenn es so aussieht, als kämen wir in Schwierigkeiten, kneifen wir.«
»Das ist das Geheimrezept des Obersts«, sagte Guff. »Halten Sie sich daran, und Sie verlieren nie.«
Als Mitarbeiterin der
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