Der Fall
Kozlow. Sie drehte auch noch an der Papierklammer herum, als sie über die Gründe nachdachte, warum sie ihren Verdacht lieber für sich behalten sollte. Als sich ihr Finger schließlich violett zu verfärben begann, wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, was sie als nächstes tun sollte. Die Behörde war für sie noch immer unerforschtes Terrain und sie brauchte unbedingt Hilfe.
Sie zog die Papierklammer von ihrem Finger und suchte nach dem Sprechanlagenknopf auf ihrem Telefon. Es gab keinen – sie war hier nicht mehr in ihrer alten Kanzlei. Deshalb beugte sie sich über ihren Schreibtisch und rief: »Guff, könnten Sie kurz reinkommen?«
Als Guff den Raum betrat, bat ihn Sara, die Tür zu schließen.
»Was ist denn jetzt passiert?«, fragte Guff.
»Da ist etwas, was ich Ihnen erzählen muss.«
»Lassen Sie mich raten: Sie wollen meine Geheimliste sehen.«
»Ihre was?«
»Meine Geheimliste mit komischen Wörtern. Ich weiß, dass darüber die wildesten Gerüchte in Umlauf sind. Letzte Woche habe ich ein paar per E-Mail rumgehen lassen, und jetzt wollen alle mehr davon. Aber ich rücke sie nicht raus. Sie müssen sich schon mit dem zufrieden geben, was Sie haben: Salami, Docht, Nipsey Russell –«
»Guff, hören Sie bitte mal einen Moment zu. Erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem wir im ECAB waren und ich mir diesen Fall geschnappt habe?« Guff nickte. »Als die Fälle gebracht wurden, sprachen Sie gerade mit Evelyn Katz und Victor Stockwell. Deshalb konnten Sie nicht sehen, dass der Fall Kozlow eigentlich für jemand anders vorgemerkt war – das war nämlich der Grund, weshalb ich ihn mir gegriffen habe.«
»Na, und wenn schon? Cops merken ihre Fälle ständig für gute SB As vor.«
»Genau das dachte ich auch. Bloß habe ich eben herausgefunden, dass es in diesem Fall nicht der Cop war, der einen bestimmten SBA angefordert hat – es war der SBA, der den Fall angefordert hat.«
»Welcher SBA?«
Sara schwieg.
»Sagen Sie mir, für wen der Fall war, Sara! Das ist kein Witz. Es kann ganz schön …«
»Stockwell«, sagte sie schließlich. »Der Fall war doch für Victor Stockwell vorgemerkt.«
»O nein! Was Blöderes hätten Sie wohl nicht tun können?«
»Der Bote, der die Fälle brachte, hat die Haftnotiz einfach abgezogen. Er hat gemeint, es wäre nur ein Vorschlag – ich hatte ja keine Ahnung.«
»Offensichtlich nicht.«
»Guff, ich weiß, das war dumm von mir, aber jetzt brauche ich dringend Ihre Hilfe. Es gibt sonst niemanden, dem ich vertraue.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, das ist eine Schuhnummer zu groß für mich. An Ihrer Stelle würde ich zu Conrad gehen.«
»Conrad reißt mir den Kopf ab, wenn er raus findet, dass ich einem anderen SBA einen Fall gestohlen habe.«
»Also, das ist Ihre Sache. Aber wenn ich zwischen den beiden wählen müsste, würde ich mich jederzeit für Conrad entscheiden.«
»Wie ist’s gelaufen?«, fragte Conrad Moore, als Sara sein Büro betrat.
»Wie ist was gelaufen?«
»Ihr Gespräch mit McCabe. War das nicht heute Morgen?«
»Ja.« Sara war sehr bemüht, nichts zu überstürzen. »Es lief ganz gut. Aber nicht berauschend.« Als sie auf Conrad Moores olivgrünem Plastiksofa Platz nahm, fragte sie: »Woher haben Sie dieses Sofa?«
»Lassen Sie Guff im Einkauf anrufen. Dann kriegen Sie nächstes Jahr auch eins. Aber jetzt erzählen Sie mir von Ihrem Gespräch!«
»Was gibt es da schon groß zu erzählen? Der Cop macht einen ganz sympathischen Eindruck, aber er hat ein paar dumme Fehler gemacht. Hat sich weder Fingerabdrücke noch eine Identifizierung besorgt.«
»Typisch – ein Achtzigprozenter.«
»Wie bitte?«
»In der Staatsanwaltschaft tun zwanzig Prozent der SB As achtzig Prozent der Arbeit«, erklärte ihr Moore. »Das Gleiche gilt für die Richter in den Gerichten und die Cops und Detectives auf den Straßen. Für achtzig Prozent der Leute ist das hier nur eine Acht-Stunden-Bürokratie.«
»Es ist keine Bürokratie«, sagte Sara. »Die Leute hier –«
»Sara, wissen Sie, wie viele offene Haftbefehle es in Manhattan gibt? Fünfhunderttausend. Das heißt, es gibt eine halbe Million Kriminelle, von denen wir wissen, dass sie auf freiem Fuß sind – und dann sind da noch all diejenigen, die wir noch nicht gefunden haben. Größtenteils wird hier wie am Fließband gearbeitet. Achtzig Prozent der Leute wollen bloß ihren Gehaltsscheck. Sie wollen nicht ihr Leben und ihre Familie aufs Spiel setzen, um irgendeinem Kriminellen
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