Der falsche Apostel
Priester sein, weil die Transsubstantiation sich nicht ereignet habe. Das würde sicherstellen, dass die Stelle
Tullius zufiel. Der Plan wäre beinahe gelungen. Liebe lässt die Menschen unsinnige Dinge tun, Miseno. Heißt es nicht bei Publilius
Syrus:
amare et sapere vix deo conceditur?
Selbst einem Gott fällt es schwer, jemand zu lieben und dennoch weise zu bleiben.«
|294| Miseno nickte.
»Amantes sunt amentes«
, stimmte er ihr zu. »Liebende sind von Sinnen.«
Fidelma wiegte betrübt den Kopf. »Es war ein beklagenswerter und unnötiger Tod. Wesentlich aber scheint mir eins, Abt Miseno:
Wir sollten daraus lernen, einen symbolisch gemeinten Vorgang nicht als wahre Begebenheit zu deuten.«
»Da gehen unsere theologischen Ansichten wohl auseinander, Fidelma«, seufzte der Abt. »Aber unser Glaube ist weitherzig genug,
um auch unterschiedliche Auffassungen miteinander zu vereinen. Wenn das nicht so wäre, würden wir eines Tages des Glaubens
verlustig gehen.«
»Sol lucet omnibus«
, entgegnete Fidelma leise, wenn auch mit leisem Spott. »Die Sonne scheint für jedermann.«
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|295| BEFLECKTER HEILIGENSCHEIN
Pater Allán schaute unwillig auf, weil er bei seinen Gebeten gestört wurde, als Schwester Fidelma unangemeldet die Tür seiner
Zelle öffnete.
»Man sagt mir, ihr bräuchtet dringend eine Anwältin«, erklärte sie ohne Umschweife.
Als er sich erhob und hastig das Knie vor dem Kruzifix an der Wand beugte, vor dem er gebetet hatte, bemerkte sie, dass sein
Gesicht von Sorgenfalten durchzogen war. Er musterte die junge Nonne, die im Türrahmen wartete. Der Überraschung auf seinen
Zügen nach zu urteilen, hatte er wohl jemand anderes erwartet. Schwester Fidelma war groß, und unter ihrer Haube quollen widerspenstige
rote Haarsträhnen hervor. Ihre schlanke, kraftvolle Gestalt ließ auf unbändige Lebensfreude schließen, die die Ordenstracht
kaum verbergen konnte.
»Bist du die
dálaigh
, die man mir angekündigt hat?« In Pater Alláns Stimme schwang Ungläubigkeit mit.
»Ich bin Fidelma von Kildare, Anwältin bei Gericht«, bestätigte sie ihm. »Ich habe mein Studium mit dem Rang eines
anruth
abgeschlossen.«
Der Vater Superior schluckte schwer, dann fielen ihm seine guten Manieren wieder ein, und er streckte die Hand aus, um die
junge Nonne hereinzubitten.
|296| »Willkommen, Schwester. Willkommen in unserer Gemeinschaft des Glaubens und Friedens …«
Fidelma unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung.
»So friedlich ist es hier offenbar nun auch wieder nicht, habe ich gehört …«, meinte sie trocken. Der Abt von Lios Mór Mochuda
hat mir mitgeteilt, dass in diesen Mauern ein Mord begangen wurde und du eine
dálaigh
brauchst. Ich bin so schnell gekommen, wie ich nur konnte.«
»Nicht in diesen Mauern, um genau zu sein«, erwiderte Pater Allán. »Komm mit in unseren Garten. Dann will ich versuchen, dir
die Angelegenheit zu erklären.«
Er führte sie ein wenig von den winzigen grauen Klostergebäuden weg, die hoch auf einem Felsvorsprung standen, der über einem
Wald aufragte und neben dem sich ein Fluss durch das Tal schlängelte. Die kleine Ordensgemeinschaft hatte einen atemberaubenden
Ausblick über das Grün auf die in blauem Dunst liegenden Berge.
Hinter einem aus Feldsteinen errichteten Oratorium befand sich ein kleiner, von einer Mauer umgebener Garten. Ein junger Mönch
war in der hinteren Ecke eifrig damit beschäftigt, den Boden zu hacken. Pater Allán geleitete Fidelma zur Mauer und ließ sich
darauf nieder. So waren sie außer Hörweite des jungen Mannes. Es war Mittagszeit, und die Sonne schien ihnen warm und angenehm
auf die Haut. Fidelma setzte sich neben ihn auf die Mauer.
»Nun …?«, forderte sie ihn auf.
»Hier ist in der Tat ein Mord geschehen, Fidelma von Kildare«, bestätigte Pater Allán in sorgenschwerem Ton.
»Wer wurde getötet, wann und wie?«
Pater Allán wartete einen Augenblick, als müsse er seine Gedanken sammeln, ehe er sprach.
|297| »Bruder Moenach wurde ermordet. Vielleicht hast du schon von ihm gehört?«
»Wir sind hier viele Meilen von Kildare entfernt«, bemerkte Fidelma. »Warum hätte ich schon von diesem Bruder Moenach gehört
haben sollen?«
»Er war ein so heiligmäßiger junger Mann.« Pater Allán seufzte. »Ja, wahrhaftig. Er zählte zwar erst achtzehn Lenze, aber
er war durchdrungen von Weisheit, Poesie und Gesang. Sein Wesen war so heiter und ruhig, dass er sicherlich vom
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