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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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grün oder hellblau? … Und er schwieg. Wenn Fidelma zornig war, schien aus ihren Augen ein seltsam eisiges Feuer
     zu sprühen.
    |300| »Ich behaupte ja nicht, ein Rechtsgelehrter zu sein«, erwiderte er trotzig. »Mit solchen Feinheiten kann ich mich nicht abgeben.«
    »Der Gesetzestext des
Berrad Airechta
sagt klar und deutlich, dass jemand nur über das Zeugnis ablegen kann, was er oder sie gesehen oder gehört hat. Alles, was
     nicht vor den Augen eines Zeugen geschehen ist, kann nicht in Betracht gezogen werden. Auch Hörensagen darf nicht als Beweis
     vorgebracht werden.«
    »Aber es war doch offensichtlich …«, begann Pater Allán.
    »Ich bin hier, um mich mit Gesetzen und nicht mit Vermutungen zu befassen«, sagte Fidelma schroff. »Und als
dálaigh
würde ich dir raten, deine Worte sorgfältiger abzuwägen. Erzähle mir mehr von diesem … diesem angeblich beinahe heiligen Jüngling.«
    Pater Allán fiel sehr wohl der leicht sarkastische Ton ihrer Stimme auf. Er zögerte kurz, fragte sich, ob er sie für ihren
     Spott tadeln sollte, entschloss sich aber, darüber hinwegzugehen.
    »Er war der Sohn eines Stammesfürsten der
Uí Figente
. Er besaß eine seltene musikalische Begabung, spielte die
cruit,
als würde ein Engel die Harfe spielen. Seine Gedichte waren lieblich und rein. Mit gerade sieben Jahren wurde er unserer Obhut
     anvertraut. Letztes Jahr erreichte er das Alter der Wahl und entschied sich, als Mitglied unserer Gemeinschaft bei uns zu
     bleiben.«
    »Er hatte also einen Ruf als Musiker?«
    »Er wurde zu den Festen der Stammesfürsten und Äbte im Umkreis von vielen Meilen eingeladen«, erwiderte Pater Allán.
    »Aber was für ein Mensch war er?«
    »Ein angenehmer junger Mann. Freundlich, klug, rücksichtsvoll zu seinen Brüdern und zu allen, die ihn kennenlernten. Er |301| hat sich immer alle erdenkliche Mühe gegeben, seinen Vorgesetzten zu Gefallen zu sein und ihren Bedürfnissen zu entsprechen.
     Ganz besonders liebte er Tiere und …«
    »Er war also anscheinend über jegliche menschliche Schwäche erhaben?«
    Pater Allán nahm diese Frage sehr ernst und schüttelte den Kopf. Fidelma erhob sich. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkte
     ein wenig gezwungen. Pater Allán war so von der Erinnerung an die engelgleiche Erscheinung seines Schülers erfüllt, dass er
     ihr nun kaum noch weiter von Nutzen sein würde.
    »Ich möchte jetzt mit Muirenn, der alten Frau, sprechen«, sagte sie. »Danach würde ich gern Bruder Aedo sehen.«
    Nach einigem Zögern hievte sich der Vater Superior von der Mauer und bedeutete Fidelma, ihm zu einem der Gebäude der Klostersiedlung
     zu folgen.
    Dort saß Muirenn in der Ecke einer Zelle auf der Kante der Pritsche, die man ihr zum Schlafen gegeben hatte. Sie schaute trotzig
     auf, als Fidelma eintrat. Sie war eine kleine, drahtige Frau mit wütenden dunklen Augen. Sie hatte das Kinn vorgereckt; ihr
     zerzaustes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Eine Greisin war sie noch lange nicht.
    »Ich bin Fidelma, eine
dálaigh
am Gerichtshof«, verkündete Fidelma, als sie in den Raum trat. Sie hatte Pater Allán gebeten, sie mit der Gefangenen allein
     zu lassen.
    Muirenn schnaubte verächtlich.
    »Du bist gekommen, um mich für etwas zu bestrafen, das ich nicht getan habe«, knurrte sie, und in ihrer Stimme schwang Wut,
     nicht Furcht mit.
    »Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu ermitteln«, berichtigte Fidelma sie.
    »Ihr jämmerlichen Ordensleute habt doch schon längst entschieden, was die Wahrheit ist. Du solltest dahin zurückkehren, |302| wo du hergekommen bist, wenn du nur Alláns Vorurteile bestätigen willst.«
    Fidelma setzte sich hin.
    »Erzähle mir, was vorgefallen ist«, forderte sie die Frau auf. »Du bist aus dem Dorf unterhalb des Klosters?«
    »Gott verfluche den Tag, an dem die Klosterbrüder hier zu bauen angefangen haben!«, murmelte die Frau.
    »Ich habe erfahren, du bist Witwe? Du hast keine Kinder und hilfst dem Kräuterheiler im Dorf. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Dann erzähle mir, was vorgefallen ist.«
    »Ich war im Wald und habe Pflanzen für Arzneien gesammelt. Da habe ich in der Nähe einen Schrei gehört. Ich bin sofort hingelaufen,
     um zu sehen, was ich tun konnte. Auf einer kleinen Lichtung lag ein junger Mönch mit dem Gesicht zum Boden. Auf der anderen
     Seite der Lichtung raschelte das Gebüsch, weil jemand davonlief. Ich dachte, ich könnte dem Jungen helfen. Ich kniete nieder
     und musste jedoch feststellen, dass es dafür

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