Der falsche Apostel
einer Handbewegung, mit der die Äbtissin ihr Einverständnis erklärte.
»Als dich Sillán heute Nachmittag aufsuchte, wovon war da die Rede, dass er so aufgebracht war?«
Nur kurz zuckten ihre Augenlider; es war die einzige Regung, die zu erkennen gab, dass die Äbtissin eine solche Frage nicht
erwartet hatte.
»Er soll bei mir gewesen sein?«, versuchte sie Fidelma hinzuhalten.
»Du weißt es sehr wohl.«
»Es wäre töricht, vor dir die Wahrheit verbergen zu wollen«, bekannte sie mit einem Stoßseufzer. »Dafür kenne ich dich zu
lange. Ich habe mich schon immer gewundert, dass du dich für das Leben in einem Kloster entschieden hast, anstatt einem weltlichen
Beruf nachzugehen. Eine Auffassungsgabe wie die deine und ein solch logisches Denkvermögen sind einem Menschen selten gegeben.«
Fidelma schwieg zu den lobenden Worten.
»Sillán kam, um mir von gewissen Dingen, die er entdeckt hatte, Kenntnis zu geben.«
»Und was er entdeckt hatte, war die verloren geglaubte Goldmine von Kildare.«
Diesmal hatte Äbtissin Ita ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Sie brauchte einige Augenblicke, um ihre Fassung |42| zurückzugewinnen, dann brachte sie ein verbissenes Lächeln zustande.
»Ja. Ich nehme an, du hast das vom
tánaiste
des Uí Failgi erfahren, der, wie ich höre, hier eingetroffen ist und sich unserer Gastfreundschaft erfreut. Dann weißt du
auch, dass Sillán ein erfahrener Bergwerksmann war und Uí Failgi ihn hergeschickt hatte, um eine alte Goldmine ausfindig zu
machen und auf ihre Ergiebigkeit hin zu überprüfen.«
»Das weiß ich, ja. Aber es war ein geheimer Auftrag. Nur Sillán, Uí Failgi und sein
tánaiste
wussten davon. Wie kommt es, dass auch du davon Kenntnis hattest?«
»Sillán hat mich von sich aus heute Nachmittag aufgesucht und es mir anvertraut.«
»Nicht schon früher?«
»Nein«, war die entschiedene Antwort.
»Dann erzähl, was er berichtet hat.«
»Es war in der Nachmittagsstunde, weit nach dem Angelusgeläut, als Sillán zu mir kam. Er eröffnete mir, weshalb er hier in
Kildare war. Um ehrlich zu sein, ich hatte so etwas schon vermutet. Er war acht Tage zuvor mit allen Vollmachten des Uí Failgi
hier eingetroffen. Aus welchen Beweggründen konnte sich ein Mann aus Kilmantan im Auftrag von Uí Failgi hier aufhalten? Ich
wusste von den uralten Legenden über die verschwundene Goldmine in Kildare. Folglich argwöhnte ich etwas.«
Sie machte eine Pause.
»Und?«, drängte sie Fidelma.
»Er teilte mir mit, dass er sie gefunden hätte, die alte Goldmine, die man vor Jahrhunderten betrieben hatte, und dass er
sich einige der Stollen näher angesehen hätte. Es gäbe sehr wohl noch Goldadern dort, die sich ohne weiteres schürfen ließen.
Er würde morgen früh abreisen, um Uí Failgi von seinen Erkundungen zu berichten.«
|43| »Aber weshalb hat er die Absprachen der Geheimhaltung mit Uí Failgi gebrochen und dir alles erzählt?«
»Sillán von Kilmantan hatte eine ehrfürchtige Haltung gegenüber unserer Gemeinschaft und wollte uns warnen. So einfach erklärt
sich das. Unser Kloster liegt unmittelbar über dem Bergwerk. Ist das erst einmal bekannt, dürfte Uí Failgi nicht lange zaudern
und dafür Sorge tragen, dass man uns hier vertreibt, uns vertreibt von dem gesegneten Fleckchen Erde, wo die heilige Brigid
ihre Schüler um sich versammelt, und ihnen unter der großen Eiche gepredigt und hier ihre fromme Gemeinschaft begründet hat.
Selbst wenn man von uns verlangt, nur ein Stückchen weiter zu ziehen, würde es bedeuten, den heiligen Boden aufzugeben, wo
Brigid und ihre Nachkommen bestattet sind, wo ihre sterblichen Überreste sich mit der Erde mischen und sie so zu einem Heiligtum
machen.«
Schwester Fidelma schaute ernst in das besorgte Gesicht der Äbtissin und überhörte auch nicht die nur mühsam unterdrückte
Bewegung in ihrer Stimme.
»Du glaubst, sein einziger Beweggrund, dir das zu erzählen, war, die Gemeinschaft zu warnen?«
»Sillán war ein frommer Mann und fühlte sich von seinem Gewissen getrieben, mir nicht vorzuenthalten, was er entdeckt hatte.
Er wollte unserer Gemeinschaft Zeit geben, uns auf das Unvermeidliche vorzubereiten.«
»Aber deshalb kann er doch nicht so aufgebracht gewesen sein.«
Die Äbtissin kniff den Mund zusammen. Als sie schließlich sprach, tat sie das mit fester und beherrschter Stimme.
»Ich versuchte, mit ihm vernünftig zu reden. Ich bat ihn, für sich zu behalten, dass er die Mine
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