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Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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Failgi spricht?«
    Einige Augenblicke herrschte eisiges Schweigen. Es glich der Stille, wie sie einem Erdbeben vorausgeht. Der Gesichtsausdruck
     der Äbtissin wurde ein anderer, wechselte von Zorn in Traurigkeit. Sie war es, die den Blick vor der Jüngeren senkte.
    »Meine Hand hat Sillán nicht das Gift verabreicht. Aber ich gestehe, dass mir ein Stein vom Herzen fiel, als ich von der Tat
     erfuhr.«
     
    Einzig die Stille der Zelle umgab sie. Vollständig bekleidet, mit den Händen unter dem Kopf, lag Schwester Fidelma auf ihrem
     Bett und starrte in die Dunkelheit. Die Kerze hatte sie gelöscht, und so unterschied sie nur schemenhaft Hell und Dunkel,
     ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Ihre Gedanken kreisten um den mysteriösen Tod von Sillán.
    Sie versuchte zu ordnen, was sie in den letzten Stunden erfahren |47| hatte. Eine unbestimmte Ahnung drängte sich ihr auf, ließ sich aber nicht fassen. So viel stand fest: Man hatte Sillán umgebracht,
     weil das, was er wusste, der Außenwelt verborgen bleiben sollte. Nur sagte ihr etwas im Innern, dass es tatsächlich besser
     war, wenn Silláns Entdeckung geheim blieb.
    Das Gesetz aber war nicht für solche Überlegungen geschrieben, und als
dálaigh
bei Gericht war sie dem Gesetz verpflichtet. Wiederum war es von Menschen gemacht. Ein zu enges Festhalten am Gesetz konnte
     auch größere Ungerechtigkeit nach sich ziehen. Rechtsprechung folgte blind den vorgeschriebenen Regeln, während in einer idealen
     Welt Gerechtigkeit einen offenen Blick für beide Seiten haben musste – für Leid und wirklich Böses.
    Schwester Fidelma befand sich in einem moralischen Dilemma, und die quälenden Gedanken begleiteten sie in einen unruhigen
     Schlaf.
     
    Jemand rüttelte sie am Arm. Das war das Erste, dessen sie gewahr wurde, erst dann hörte sie das Angelus-Läuten.
    Aus den verschwommenen Umrissen schälte sich das blasse, habichtsähnliche Gesicht von Schwester Ethne.
    »Rasch, Schwester, komm rasch. Noch ein Toter.«
    Fidelma schnellte hoch und sah Schwester Ethne ungläubig an. Bis zur Morgendämmerung war es noch eine Stunde, und ihre Besucherin
     hatte vorsorglich die Kerze angezündet.
    »Noch ein Toter? Wer?«
    »Follaman.«
    »Wie?« Fidelma sprang aus dem Bett.
    »Wie gehabt. Gift. Rasch, du musst in die
tech-óired
kommen.«
    Follaman, der
timthirig
des Klosters, lag auf dem Rücken, das Gesicht auch im Tod noch schmerzverzerrt. Der eine Arm war |48| zur Seite gestreckt, und folgte man der Richtung der geöffneten Hand, sah man auf dem Fußboden verstreut die Scherben eines
     irdenen Bechers. Ein dunkler Fleck auf dem Steinfußboden deutete auf vergossene Flüssigkeit hin.
    Die Apothekenschwester, die man als Erste gerufen hatte, war bereits in der Zelle und hatte den Leichnam untersucht.
    »In dem Becher war Schierling, Schwester Fidelma«, berichtete sie unter heftigem Auf und Ab ihres Kopfes. »Genau wie Sillán
     hat auch er das Gift getrunken, nur dass er es nachts zu sich nahm und niemand seinen Todesschrei gehört hat.«
    Verstört prägte sich Fidelma den Anblick ein und sagte zu Schwester Ethne: »Ich muss mit der Äbtissin sprechen. Bitte sorge
     dafür, dass uns niemand stört.«
     
    Äbtissin Ita stand am Fenster ihres Gemachs und betrachtete die Farbenpracht von Rot, Gelb und Orange der aufgehenden Sonne.
    Als Schwester Fidelma eintrat, drehte sie sich nur leicht zur Tür, um sich zu vergewissern, wer es war, wandte sich wieder
     um und öffnete das Fenster. Das leuchtende Morgenlicht durchflutete den Raum und verlieh ihm einen milden goldenen Glanz.
    »Nein, Fidelma«, ergriff sie das Wort, noch ehe Fidelma etwas sagen konnte. »Ich habe Follaman nicht vergiftet.«
    »Ich weiß, dass du es nicht warst, Ehrwürdige Mutter.«
    Äbtissin Ita wandte sich zu ihr und starrte sie überrascht an. Mit einer Handbewegung forderte sie Fidelma zum Platznehmen
     auf und setzte sich selbst. Sie sah blass und übernächtigt aus.
    »Du weißt also, wer der Täter ist? Du weißt, wie Sillán und Follaman zu Tode gekommen sind?«
    Schwester Fidelma nickte.
    |49| »In der vergangenen Nacht habe ich schwer mit mir gerungen, Ehrwürdige Mutter, wem ich als
dálaigh
zu dienen habe – dem Gesetz oder der Gerechtigkeit.«
    »Aber ist das nicht ein und dasselbe, Fidelma?«
    »Manchmal ja und manchmal nein.« Sie lächelte schmerzlich. »In diesem Fall geht beides auseinander.«
    »Nämlich?«
    »Sillán wurde unrechtmäßig getötet. Das ist eindeutig. Er wurde getötet,

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