Der falsche Apostel
der Abtei. Follaman muss sich folglich in der Nähe deiner Räume aufgehalten haben.
Und erst recht auffällig ist, dass Follaman, als ich ihn fragte, ob er wüsste, wie Schierling aussieht, das verneinte.«
»Wieso spricht Letzteres gegen ihn?«
|52| »Weil es zu Follamans Aufgaben gehörte, im Kräutergarten zu helfen, und Schwester Poitigéir hatte mir erzählt, dass sie dort
auch Schierling für Heilzwecke zogen und dass das zerstoßene Schierlingspulver von den Pflanzen aus eben dem Garten stamme.
Follaman würde ihr beim Anbau und der Pflege von Pflanzen im Garten zur Hand gehen. Er hätte also wissen müssen, wie Schierling
aussah. Es musste einen Grund dafür geben, dass er mich belog.«
»Ich verstehe«, sagte die Äbtissin grübelnd. »Du gehst also davon aus, dass Follaman versucht hat, uns – ich meine unsere
Gemeinschaft hier in Kildare – zu schützen?«
»Ja. Er war ein einfacher, rechtschaffener Mann und sah keinen anderen Ausweg.«
Die Äbtissin brachte ein schmerzliches Lächeln zustande.
»Um ehrlich zu sein, Schwester, trotz besseren Wissens hätte auch ich keinen anderen Ausweg gefunden als den seinen. Was also
schlägst du jetzt vor?«
»Es gibt Situationen, in denen die Gesetzgebung Ungerechtigkeit nach sich zieht, doch um mit sich in Frieden und Einklang
zu leben, braucht der Mensch den Triumph der Gerechtigkeit. Es gilt folglich abzuwägen zwischen Gerechtigkeit und der Strenge
des Gesetzes.« Fidelma hielt inne und fuhr dann schweren Herzens fort: »Bleiben wir bei der rein menschlichen Gerechtigkeit.
In meinem Bericht wird es heißen, dass Sillán durch unglückliche Umstände zu Tode gekommen ist, ebenso wie Follaman. Man hätte
für den Met im Gästehaus versehentlich Wasser aus einem Krug benutzt, dem Follaman für die Bekämpfung von Ungeziefer im Abteigewölbe
Gift zugesetzt hätte. Erst als auch Follaman an einer Vergiftung gestorben war, sei man dem Grund des Übels auf die Schliche
gekommen.«
»Und was sagen wir dem
tánaiste
des Uí Failgi wegen der Goldmine?«
|53| »Dass Sillán beschlossen hätte, nach Ráith Imgain zurückzukehren, weil die Legende von der Goldmine in Kildare nichts weiter
als eine Legende sei.«
Die Äbtissin lächelte zufrieden. »Gut. Da du gewillt bist, so und nicht anders auszusagen, stimme ich deinem Bericht als Vorsteherin
unserer Gemeinschaft zu. Auf diese Art und Weise erhalten wir unser Kloster zukünftigen Generationen. Was die Falschaussage
deines Berichts betrifft, so spreche ich dich von jeder Verantwortung und Sünde los.«
Das entspannte Lächeln der Äbtissin verunsicherte Fidelma ob ihrer Entscheidung. Im Sinne der rein menschlichen Gerechtigkeit
war sie bereit gewesen, den Mund zu halten. Aber die Erleichterung und Selbstgefälligkeit von Äbtissin Ita ärgerte sie. Und
wenn sie mit sich selbst ins Gericht ging, so spürte sie, dass ihr Stolz auf ihren Ruf als Anwältin, selbst schwierigste Fälle
zu lösen, hier Schaden nahm.
Bedächtig schob sie eine Hand in ihr Gewand, zog den kleinen Steinbrocken hervor, den sie in Silláns Kammer im Gästehaus gefunden
hatte, und warf ihn auf den Tisch.
»Das war eins von Silláns Beweisstücken für seine Entdeckung. Vielleicht ist es besser bei dir aufgehoben zusammen mit den
anderen Goldaderbröckchen, die Follaman dir übergeben hat, nachdem er Sillán vergiftet hatte … gemäß deiner Anweisung.«
Äbtissin Ita war aschfahl geworden und sah Fidelma mit angstgeweiteten Augen an. »Wie …?«, stammelte sie.
Schwester Fidelma hatte nur ein bitteres Lächeln für sie übrig. »Du brauchst nichts zu befürchten, Ehrwürdige Mutter. Es bleibt
bei dem, was ich gesagt habe. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich handle im Sinne unserer Gemeinschaft, für das Wohl und
die Zukunft des Hauses der heiligen Brigid von Kildare und all der Menschen, die in diesen Mauern in Frieden leben. |54| Über dich zu urteilen steht mir nicht zu. Du wirst dich vor Gott verantworten müssen, vor Sillán und Follaman, den beiden
Toten.«
»Aber wie …«, wiederholte die Äbtissin mit zitternden Lippen.
»Ich habe vorhin betont, dass Follaman ein einfacher Mensch war. Selbst wenn er klug genug war, die Tragweite von Silláns
Entdeckung für die Abtei und die Gemeinschaft zu erkennen, bleibt die Frage, ob er in der Lage war, den giftigen Schierling
zu nehmen und unterzumischen.«
»Du selbst hast doch aber ausgeführt, dass er das gekonnt hätte. Du hast
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