Der falsche Apostel
Múscraige verwehrt.«
Dathó war ein schlanker junger Mann von etwa zwanzig Jahren mit ernstem Gesicht. Hasserfüllt blitzten seine Augen Nechtan
an; er hatte die Augen seiner Mutter und nicht die grauen kalten Augen seines Vaters. Schon öffnete er den Mund, dem Vater
harsche Worte entgegenzuschleudern, aber seine Mutter legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück, sodass er nur verächtlich
schniefte und herausfordernd das Kinn reckte, aber schwieg. Die beiden ließen erkennen, dass |441| Nechtan weder von seinem Sohn noch von seiner ersten Frau Vergebung erwarten durfte.
Trotzdem schien Nechtan ungerührt ob ihrer Reaktionen, fast hatte es den Anschein, als würde er sie mit einer gewissen Befriedigung
hinnehmen.
Einer der Gäste – er saß gegenüber Ess, und Fidelma kannte ihn als einen jungen Künstler namens Cuill – erhob sich, ging um
den Tisch herum zum Weinkrug, der hinter Nechtan stand, füllte sich seinen Becher, leerte die Karaffe und kehrte zu seinem
Platz zurück. Nechtan schenkte dem keine Beachtung, und auch Fidelma nahm es nur unbewusst wahr. Beharrlich ruhte ihr Blick
auf Nechtan, und ihre lebhaften grünen Augen wichen seinen kalten nicht einen Augenblick lang aus. Nur die Hand bewegte sie
ab und an, wenn sie versuchte, das widerspenstige rote Haar unter den Schleier zurückzuschieben.
»Und nun zu dir, Fidelma von Cashel, Schwester unseres Königs Colgú.« Er streckte die Arme aus, wie um seine Reue zu unterstreichen.
»Als du im Gefolge des großen Brehon Morann, des obersten Richters der fünf Königreiche, hierherkamst, warst du eine junge
Novizin. Ich war von deiner Jugend und Schönheit berauscht; welcher Mann wäre das nicht gewesen? Jedwede Gesetze der Gastfreundschaft
missachtend, suchte ich dich nachts in deiner Kammer auf und wollte dich verführen.«
Empört warf sie den Kopf hoch; Röte schoss ihr in die Wangen bei dem Gedanken an das, was geschehen war.
»Verführen?« Eiskalt durchschnitt ihre Stimme den Raum. Der Begriff, den Nechtan benutzt hatte, war der Rechtssprache entlehnt,
und
sleth
bedeutete versuchter Geschlechtsverkehr mit Hilfe von List. »Dein vergeblicher Versuch war wohl mehr ein
forcor
.«
Nechtan zuckte zusammen, und für einen kurzen Moment verzerrte sich sein Gesicht zu einer erzürnten Maske, nahm |442| aber sogleich wieder den blassen, friedfertigen Ausdruck an.
Forcor
hieß so viel wie brutale Vergewaltigung und kam einem Gewaltverbrechen gleich. Hätte Fidelma sich nicht schon damals, jung
wie sie war, im
troid-sciathagid
, der überlieferten Kampfkunst ohne Waffen, ausgezeichnet, wäre aus Nechtans unerbetener Zudringlichkeit leicht eine Vergewaltigung
geworden. Nechtan hatte bei seinem nächtlichen Besuch bei Fidelma ein paar heftige blaue Flecken und dicke Beulen davongetragen
und drei Tage das Bett hüten müssen. Jetzt neigte er das Haupt und gab sich zerknirscht.
»Es war falsch, gute Schwester«, sagte er, »ich kann lediglich mein Verhalten eingestehen und dich um Verzeihung bitten.«
Der Lehren ihres Glaubens eingedenk, kämpfte Fidelma einen inneren Kampf, konnte es aber nicht über sich bringen, auch nur
das geringste Zeichen einer Vergebung erkennen zu lassen. Sie schwieg und starrte Nechtan mit unverhohlener Empörung an. In
ihr festigte sich der Verdacht, dass Nechtan an diesem Abend ein böses Spiel mit ihnen trieb. Aber weshalb und mit welchem
Ziel?
Hinter seiner Maske schien er sich still und heimlich zu amüsieren; mehr als ein verärgertes Schweigen hatte er wohl sowieso
nicht von ihr erwartet.
Er hielt einen Augenblick inne, bevor er sich dem lebenslustigen, rothaarigen Mann zuwandte, der links neben ihr saß. Fidelma
wusste, dass Daolgar von ungezügeltem Temperament war, ein Mensch, der mehr zum Handeln als zum Nachdenken neigte. Er konnte
rasch beleidigt sein, aber ebenso gut auch rasch vergeben. Sie kannte ihn als warmherzig und großzügig.
»Daolgar, Stammesfürst der Sliabh Luachra und mein guter Nachbar«, sprach ihn Nechtan an, aber der ironische Unterton war
nicht zu überhören. »Ich habe dir Unrecht zugefügt, indem ich die jungen Männer meines Clans immer wieder angestachelt |443| habe, in dein Gebiet einzufallen und deine Leute zu schinden, um unsere eigenen Ländereien zu erweitern und eure Viehherden
zu stehlen.«
Daolgar schnaubte wie ein Tier, laut und ärgerlich. Sein muskulöser Körper lauerte sprungbereit.
»Dass du das, was mein Volk hat
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