Der falsche Apostel
und drei Gefährten waren unterwegs von der Abtei Fosse durch den Wald, dem wir uns gerade nähern – den Wald von Seneffe
–, als sie von Räubern überfallen und ermordet wurden. Ihre Leichen waren so gut im Wald versteckt, dass man sie erst nach
drei Monaten zufällig entdeckte. Foillans Bruder Ultan wurde Abt.
Als dann die heilige Gertrude gestorben war, kamen die beiden Abteien überein, dass man, da sie ja die Wohltäterin beider
Häuser war, eine Phiole mit ihrem Blut, das man ihr nach ihrem Tode abgenommen hatte, hinter dem Hochaltar unserer Abtei aufbewahren
würde. Doch jedes Jahr sollte diese Phiole an ihrem Todestag zur Abtei von Fosse gebracht und dort in einem Gottesdienst vom
Abt gesegnet werden. Dies war die Aufgabe, die Schwester Cessair und Schwester Della heute Morgen erfüllen sollten.«
»Wie hast du davon erfahren, dass eine Schwester im Wald ermordet wurde?«
»Als der Mittag gekommen war, der Zeitpunkt des Gottesdienstes in Fosse, und dort die Schwestern aus unserer Gemeinschaft
mit dem Heiligen Blut noch nicht eingetroffen waren, machte sich Bruder Sinsear auf, um festzustellen, was sie |493| aufgehalten hatte. Er fand die Leiche einer der Schwestern am Wegesrand. Er eilte sofort her, um uns davon zu benachrichtigen,
und kehrte dann unverzüglich um und alarmierte die Gemeinschaft in Fosse.«
»Aber weißt du, welche der beiden Schwestern getötet wurde?«
Die Äbtissin schüttelte den Kopf.
»Bruder Sinsear war zu aufgeregt, um uns das zu sagen. Er überbrachte nur der Pförtnerin die Nachricht und machte sich sogleich
wieder auf den Rückweg.«
Inzwischen waren sie in den hochaufragenden, finsteren Wald von Seneffe eingetreten. Der Weg führte meist geradeaus, schlängelte
sich jedoch manchmal um Felsbrocken herum und an Bächen entlang, bis man diese über eine Furt durchqueren konnte. Die dichten
Bäume sperrten die Nachmittagssonne beinahe aus, und die Luft ringsum war kühl. Fidelma dachte, dass dieser Weg einen idealen
Hinterhalt für Räuber bot. Es verwunderte sie nicht, dass hier schon Menschen zu Tode gekommen waren.
Obwohl die irischen Ordensleute unbewaffnet in die Welt zogen, um ihren Glauben zu predigen, hatten doch die meisten von ihnen
die Kunst des
troid-sciathagid
, des Verteidigungskampfes, gelernt. Dies war eine Methode der Selbstverteidigung ohne Waffen. Selten fielen derart ausgebildete
Ordensleute herumstreunenden Banden von Dieben und Räubern zum Opfer. Die Namen der beiden Schwestern deuteten darauf hin,
dass sie Irinnen waren und also zumindest Grundkenntnisse in dieser Kunst besitzen mussten. Es war nämlich üblich, dieses
Wissen zu erwerben, ehe man das Heilige Wort von den Küsten der Insel Éireann in fremde Länder trug.
Die kleine Gruppe schritt schweigend und rasch den Pfad |494| entlang. Die Nonnen blickten sich des Öfteren ängstlich um, ob irgendwo eine Gefahr lauerte.
»Ist dies nicht ein gefährlicher Weg für junge Schwestern?«, erkundigte sich Fidelma nach einer Weile.
»Nicht gefährlicher als andere«, erwiderte ihre Freundin. »Lass die Geschichte von Foillans Tod deine Meinung nicht beeinflussen.
Das ist zehn Jahr her, und die Räuber wurden inzwischen aus diesem Landstrich vertrieben. Es hat seither keine weiteren Zwischenfälle
mehr gegeben.«
»Bis heute«, bemerkte Fidelma finster.
»Bis heute«, seufzte Ballgel.
Wenig später erblickten sie eine Gruppe von vier oder fünf Mönchen. Sie hatten einen Karren mitgebracht, vor den ein Esel
gespannt war. Sie standen um eine knorrige Eiche herum, deren Äste mit den welken Blättern so niedrig hingen, dass man beinahe
hinaufreichen und die untersten Zweige packen konnte. Dadurch war es an dieser Stelle noch finsterer.
Ein großer Mann von kräftiger Gesichtsfarbe, der ein goldenes Kreuz um den Hals trug und sichtlich eine Respektsperson war,
erblickte Äbtissin Ballgel und kam auf sie zugeeilt.
»Ich grüße dich, Mutter Äbtissin. Eine schlimme Sache, eine gotteslästerliche Sache.« Er sprach Latein, aber Fidelma konnte
seinen fränkischen Zungenschlag ausmachen.
»Abt Heribert von Fosse«, flüsterte Ballgel ihr gerade noch außer Hörweite zu.
»Wo ist der Leichnam?« Ballgel kam gleich zur Sache, sprach ebenfalls Latein.
Abt Heribert schaute betreten drein.
»Ich möchte euch erst auf den Anblick vorbereiten«, hub er an.
»Ich habe schon Tote gesehen«, erwiderte Äbtissin Ballgel ruhig.
|495| Er deutete auf die vom Weg
Weitere Kostenlose Bücher