Der falsche Apostel
die Schriftzüge des heiligen Patrick trug, habe ich es vernichtet, in meinem Herdfeuer
verbrannt.«
»Und was ist mit dem Missale?«
»Es liegt dort auf dem Tisch. Vielleicht schickst du es ihren Angehörigen.«
»Hast du sonst noch etwas zu sagen?«
»Nein, das ist alles, meine Tochter. Nur lässt mir mein Gewissen keine Ruhe. Darf ich mir anmaßen, zu glauben, Gott würde
einen Mord verfügen … selbst für einen geheiligten Zweck? Die Sünde, dass ich es unterlassen habe, den
bó-aire
über das wahre Geschehen ins Bild zu setzen, wiegt schwer. Aber für mich war entscheidend, das Geheimnis der Reliquie zu wahren.
Ich fühle den Tod nahen. Irgendjemandem musste ich das Geheimnis anvertrauen. Vielleicht hat es Gott so gewollt, |162| dass du, die du nichts mit dieser Insel zu tun hast, die Wahrheit erfährst, zumal du sie zum Teil schon wusstest. Wie heißt
es doch in dem alten lateinischen Hexameter?
Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando? «
Schwester Fidelma schenkte ihm ein warmes Lächeln.
»Wer ist der Verbrecher? Worin besteht das Verbrechen? Wo wurde es begangen? Mit welchen Mitteln? Warum? Auf welche Art und
Weise? Wann?«
»Genau so, meine Tochter. Auf all das hast du jetzt eine Antwort. Du hast Congal oder auch mich eines dunklen Verbrechens
verdächtigt. Es gab kein Verbrechen. Wenn es als ein solches angesehen wird, dann geschah es durch ein Wunder. Mir blieb nur
die Wahl, dir alles wahrheitsgemäß zu erzählen und das Schicksal der Insel und seiner Bewohner in deine Hände zu legen, meine
Tochter. Bist du dir dessen bewusst, was das bedeutet?«
Schwester Fidelma nickte langsam.
»Ja, Pater.«
»Dann habe ich hinter mich gebracht, was ich längst hätte tun sollen.«
Draußen vor der Klause des Priesters hatten sich Inselbewohner versammelt. Sie alle starrten Schwester Fidelma an, die einen
neugierig, die anderen feindselig. Auch Corcrain schaute sie fragend an, aber sie ließ ihn mit seiner Ungewissheit allein.
Ihr ging es darum, zuallererst Congal ausfindig zu machen und ihm von der Höhle an der Steilküste von Aill Tuatha zu berichten.
Das Wissen um das, was es mit ihr auf sich hatte, lag in seiner Verantwortung, damit wollte sie sich nicht belasten.
Die Möwen schwebten über die Anlegestelle aus grauem Granitgestein, schrien und stießen im Sturzflug nieder. Manchmal |163| schien es, als hielten die stürmischen Winde sie gefangen und hinderten sie am Weiterfliegen, aber schon im nächsten Moment
schlugen sie mit den Schwingen und stiegen erneut auf und nieder. Die See war kabbelig. Trotz des feuchtgrauen Nebels konnte
Fidelma Ciardhas Boot ausmachen, das sich durch die Wellen kämpfte und den Hafen der Insel ansteuerte. Bekümmert stellte sie
fest, dass ihre Rückfahrt nach An Chúis nicht gerade gemütlich werden würde.
Mit dem Boot erwartete man einen jungen Priester, der die Nachfolge von Pater Patrick auf der Insel antreten sollte. Der alte
Mann war in einen friedlichen Schlaf gefallen und wenige Stunden, nachdem Fidelma ihn verlassen hatte, aus dem Leben gegangen.
Für Fidelma war es eine schwierige Entscheidung gewesen. Sie war in die Hütte des
bó-aire
zurückgekehrt und hatte im Lichte dessen, was sie inzwischen erfahren hatte, die ganze Nacht über dessen Bericht gebrütet.
Jetzt stand sie und erwartete die Ankunft des Bootes, das sie wieder von der Insel bringen sollte, neben ihr der nervös dreinschauende
junge Schiedsmann.
Das Boot hatte sein Ziel erreicht. Taue wurden geworfen und festgezurrt, und die wenigen Fahrgäste begannen, sich die Strickleiter
hochzuhangeln. Als Erster erschien ein junger Mann mit klaren, fast noch jungenhaften Gesichtszügen. Er bewegte sich in seinem
Habit, als trüge er ein neu erworbenes Symbol zur Schau. Congal und Corcrain waren zugegen und nahmen ihn in Empfang.
Schwester Fidelma betrachtete ihn kopfschüttelnd. Der Neuankömmling machte den Eindruck, als wüsste er noch nicht, wie man
mit einem Rasiermesser umgeht, und sollte doch schon hundertundsechzig Seelen ein Vater sein. Sie wandte sich dem Friedensrichter
neben ihr zu und streckte ihm die Hand entgegen. |164| »Vielen Dank für deine Hilfe und Gastfreundschaft, Fogartach. Ich werde dem Obersten Brehon und auch Fathan von den Corco
Dhuibhne Bericht erstatten. Wenn das erledigt ist, werde ich mit Freuden meine unterbrochene Reise fortsetzen und zur Abtei
von Kildare zurückkehren.«
Der junge Mann hielt ihre
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