Der falsche Apostel
dem Thron nachfolgen?«
»Ja.«
Eadreds Gesicht war puterrot.
»Ich habe Wulfstan nicht umgebracht!«
Schwester Fidelma sah ihm tief in die Augen.
»Ich glaube dir, denn der Mörder ist Raedwald«, sagte sie ruhig.
Von Panik ergriffen, wollte Raedwald flüchten, doch Finan packte ihn fest am Arm. Dagobert und Ultan, der Verwalter, sprangen
vor und halfen ihm, Raedwald festzuhalten, der sich heftig wehrte. Sobald man den Than von Staeningum überwältigt hatte, sprach
Schwester Fidelma weiter: »Ich habe gesagt, dass der Mörder klug und listenreich ist. Und doch hat sich Raedwald bei seinem
Versuch, uns auf die falsche Fährte zu leiten, übernommen und so den Verdacht auf sich gelenkt. Er wollte, dass wir Talorgen
das Verbrechen zur Last legten, doch es unterlief ihm ein Fehler, weil er dachte, das Taschentuch gehöre Talorgen. Es trug
aber Dagoberts lateinischen Wahlspruch. |211| Raedwald kann kein Latein, deshalb bemerkte er das nicht. Aus diesem Grund ist Eadred nun von jedem Verdacht frei, denn er
versteht zumindest so viel Latein, dass er Dagoberts Wahlspruch erkennen konnte.«
Sie sah Eadred an.
»Wenn du auch ermordet worden wärst, dann wäre Raedwald der nächste Thronanwärter gewesen, nicht wahr?«
Eadred nickte.
»Aber …«
»Raedwald hatte vor, dich als Täter zu bezichtigen und dann zu zeigen, dass du Talorgen die Schuld zuschieben wolltest. Entweder
wärst du nach unserem Gesetz wegen Mord vor Gericht gekommen oder, wenn das alles nichts genutzt hätte … Nun, ich wage zu
bezweifeln, dass du das Land der südlichen Angelsachsen sicher wieder erreicht hättest. Vielleicht wärst du bei der Überfahrt
über Bord gegangen. Wie auch immer, Wulfstan und du, ihr wärt beide aus der Thronfolge ausgeschieden, und dann wäre der Weg
frei gewesen für Raedwald.«
Eadred schüttelte verwundert den Kopf. In seiner Stimme schwang zögerliche Bewunderung mit, als er sagte: »Niemals hätte ich
vermutet, dass eine Frau einen solch scharfen Verstand besitzen könnte, um die List dieses Verrats so aufzudecken, wie du
es gemacht hast. Ich werde nun dein Amt mit neuen Augen sehen.«
An Abt Laisran gerichtet, sagte er: »Ich und meine Männer, wir werden jetzt abreisen, denn wir müssen in mein Land zurückkehren.
Mit deiner Erlaubnis, Abt, nehme ich Raedwald als meinen Gefangenen mit. Er wird nach unseren Gesetzen vor Gericht gestellt
werden, und seine Strafe wird nach unserem Recht festgelegt.«
Abt Laisran nickte nur.
|212| Eadred ging auf die Tür zu. Dabei fiel sein Blick auf Talorgen von Rheged.
»Nun,
welisc
, es scheint, als schuldete ich dir Abbitte dafür, dass ich dich zu Unrecht des Mordes an Wulfstan bezichtigt habe. Hiermit
entschuldige ich mich.«
Talorgen erhob sich langsam und versuchte, die Überraschung auf seinem Gesicht zu verbergen.
»Deine Entschuldigung ist angenommen, Angelsachse.«
Eadred zögerte einen Augenblick und sagte: »Ungeachtet der Entschuldigung kann doch zwischen uns niemals Friede herrschen,
welisc !«
Talorgen rümpfte verächtlich die Nase.
»Ein solcher Friede kommt an dem Tag, an dem du und deine angelsächsischen Horden von den Ufern Britanniens in See stechen,
um für immer in das Land zurückzukehren, aus dem ihr gekommen seid!«
Eadred erstarrte, fuhr mit der Hand zum Gürtel, hielt dann inne und lächelte beinahe.
»Gut gesprochen,
welisc
. Es wird also niemals Frieden geben!«
Mit großen Schritten verließ er den Raum, gefolgt von Ultan und Dagobert, die Raedwald hinter ihm her abführten.
Talorgen lächelte Schwester Fidelma kurz zu und sagte: »Wahrhaftig, unter den Brehons von Irland sind weise Richterinnen.«
Dann war auch er fort. Finan, der Rechtsprofessor, zögerte einen Augenblick.
»Wahrlich, jetzt weiß ich, warum dein Ruf so großartig ist, Fidelma von Kildare.«
Schwester Fidelma seufzte leise, als er gegangen war.
»Nun, Fidelma«, sagte Abt Laisran mit zufriedenem Lächeln, während er nach dem Weinkrug griff. »Es scheint, dass ich dir |213| auf deiner Pilgerfahrt zum Schrein des heiligen Patrick von Ard Macha einige Abwechslung geboten habe.«
Schwester Fidelma ging auf den ironischen Ton des rundlichen Abtes ein.
»Abwechslung, das schon. Aber ich wäre wahrhaftig lieber einem angenehmeren Zeitvertreib nachgegangen.«
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|214| DER FALSCHE APOSTEL
Die schwarze Lumme mit den leuchtend orangefarbenen Beinen und den klagenden Warnrufen stieß herab und schoss über das Fischerboot.
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