Der falsche Apostel
nachgesehen, ob noch mehr Kirchgänger eingetroffen waren.«
»In dem Augenblick standest du aber mit dem Rücken zum Kelch. Er war also nicht ständig in deinem Blickfeld.«
»Aber es war doch sonst niemand in der Sakristei außer …«
»Außer Pater Cornelius?«
Der Diakon biss sich auf die Lippen und nickte mürrisch.
»Lass es mich ganz klarstellen: Pater Cornelius legte die Messgewänder an, und du standest an der Tür und hast beobachtet,
wer in die Kirche kam.«
»Ja. Ich erinnere mich, ich habe ihm gesteckt, dass Abt Miseno zum Gottesdienst dageblieben ist.«
»Ihm gesteckt, wieso?«, hakte Fidelma bei dem Wort sofort ein.
»Dem Abt untersteht diese
ecclesia
wie auch einige andere in der Umgebung. Er und Pater Cornelius sind jedoch … Wie soll ich sagen? … Sie stimmen in ihren Ansichten
nicht überein. Abt Miseno ist bemüht, Pater Cornelius aus dieser Kirche zu drängen. Das ist kein Geheimnis.«
»Weißt du, warum?«
»Darüber zu reden kommt mir nicht zu. Richte die Frage lieber an Abt Miseno und Pater Cornelius.«
»Auch gut. Wie ging es weiter?«
»Pater Cornelius war verärgert. Ich glaube sogar, er war |266| ziemlich wütend. Jedenfalls schob er mich zur Seite und ging geradenwegs auf Abt Miseno zu. Sie redeten miteinander, und soweit
ich sehen konnte, verlief ihr Gespräch nicht eben freundschaftlich. Die für den Gottesdienst festgelegte Stunde kam heran,
und ich läutete die Glocke wie auch sonst immer. Pater Cornelius begab sich zum Altar und begann mit der Messfeier.«
Fidelma beugte sich vor und wiederholte eindringlich: »Du sagst, du hast den Wein in den Kelch gegossen, während Pater Cornelius
die Messgewänder anlegte. Dann bist du zur Tür gegangen und hast mit dem Rücken zum Kelch gestanden. War das so?«
»Ja. Ich glaube schon.«
»Du glaubst? Bist du dir nicht sicher?«
»Tja …« Der Diakon zuckte die Achseln. »Beschwören kann ich das nicht. Vielleicht habe ich auch den Kelch gefüllt, als er
die Sakristei schon verlassen hatte.«
»Also nicht vorher?«
»Ich bin mir nicht sicher. Der Vorfall hat mich so erschüttert, dass ich ein bisschen durcheinander bin, was den genauen Ablauf
der Dinge betrifft.«
»Du bist dir aber sicher, dass nichts im Kelch war, als du den Wein hineingegossen hast?«
»Der Kelch war völlig rein«, sagte der Diakon mit fester Stimme.
»Da war nichts an den Wänden, auch keine klare Flüssigkeit am Boden, die du beim Eingießen möglicherweise übersehen hast?«
»Bestimmt nicht. Der Kelch war rein und trocken.«
»Wie kannst du dessen so sicher sein, wenn du zugibst, du bist verwirrt hinsichtlich anderer Dinge?«
»Jeder Diakon, der mit dem Amt betraut ist, befolgt ein bestimmtes |267| Ritual. Er nimmt ein weißes Leinentuch und wischt damit das Innere des Kelchs gründlich aus. Dann erst wird der Wein eingegossen.«
Fidelma kam so nicht weiter. Man hatte den Wein vergiftet. Er war im Kelch vergiftet worden und nicht vorher. Nach Aussage
des Diakons war der Kelch nur in dem Moment nicht in seinem Blickfeld, als Pater Cornelius die Sakristei betrat. Das wäre
die einzige Gelegenheit gewesen, Gift in den Kelch zu tun. Doch der Diakon war sich nicht sicher, wann genau er den Wein eingegossen
hatte, ob schon bevor der Priester in die Sakristei gekommen war oder erst, als er sie verlassen hatte.
»Was war deine nächste Aufgabe?«
»Die Messe sollte beginnen. Ich nahm die Schale mit dem Brot und trug sie zum Altar. Dann holte ich den Kelch …«
Fidelmas Augen funkelten erregt. »Der Kelch stand also noch hier, während du das Brot auf den Altartisch gestellt hast?«
Der Diakon winkte ab. »Das waren doch nur wenige Sekunden, und ich hatte die Tür zwischen Altar und Sakristei offen gelassen.«
»Dennoch, für kurze Zeit war das Gefäß unbeaufsichtigt. Während dessen hätte jemand durch die Außentür kommen, den Wein vergiften
und wieder verschwinden können, ehe du zurück warst.«
»Möglich wäre das gewesen«, gab der Diakon zu. »Aber derjenige hätte verdammt schnell sein müssen.«
»Als Nächstes hast du den Wein zum Altar gebracht, nicht wahr?«
»Ja. Dann begann die Messe. Der Kelch stand während des ganzen Gottesdienstes für jeden sichtbar dort, bis Pater Cornelius
ihn segnete und der gallische Mönch vortrat, um die Kommunion zu empfangen.«
|268| »Gut, das genügt erst einmal.«
Fidelma ging voran in den Kirchenraum, wo die kleine Gemeinde sie schweigend erwartete. Sie spürte
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