Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
denn nicht?“
“Nein, Vater“, erklärte Gult. “Mir ist, als wäre ich blind. Ich höre dich, aber wie kann ich dich erkennen zwischen all den Bäumen?“
“Aber ich bin ein Baum! Dreh dich um. Die Eiche zu deiner Linken, das bin ich.“
“Eiche?“, Neugierig näherte sich der König der Winde dem bezeichneten Baum. “Wie kann es sein, dass du Eiche bist?“
“Der Tod hat mich hierher geführt, Sohn. Ich hatte keine Wahl. Ich stellte mich dem Prüfungsritual der Geistbäume und schließlich wurde ich Eichbaum. Nun stehe ich hier seit jenem Tage, da ich mein Volk und dich, Sohn, verlassen musste. Und doch: ich habe Frieden gefunden. Sieh dich nur um. Es ist ein wunderbares Land!“
So erfuhr Gult, dass allen magischen Wesen ein zweites Leben gewährt werden wird, wenn sie den Weg des gleichen Klangs abschreiten und für würdig befunden werden.
Gult fand Gefallen daran, ewig zu leben und das Land um ihn her erschien ihm nun freundlicher und schöner als zuvor. Er gab dem Land einen Namen: Talikon, was in der alten Sprache 'Drachenland' bedeutete.
Wie lange Gult bei seinem Vater blieb, wusste er später nicht mehr zu sagen, doch irgendwann sprach der alte Baum und sagte: “Nun kehre zurück, Gult, denn wisse, dein Aufenthalt darf nicht zu lange währen. Die Zeit in diesem Land ist nicht die Zeit, die du kennst. Hier gibt es keine Vergangenheit und Zukunft und wenn du nun zurückkehrst, mag ein Jahr so gut wie einhundert Jahre vergangen sein.“
„Lebe wohl, Vater. Ich werde meinen Söhnen von diesem Ort und von der Prüfung der Bäume berichten. Wir werden kommen.“
„Lebe wohl, Sohn.“
Gult fand den Weg zurück in seine Welt und konnte das Talikon zeitlebens nicht vergessen, als er starb, begrüßte der den Tod mit Freude.
Der Magier lag unter einer prächtigen Eberesche und kratzte sich ausgiebig die Kopfhaut.
“Sitz endlich still“, forderte die Eberesche. “Du machst mich noch wahnsinnig mit deiner beständigen Unruhe.“
“Es liegt nicht an mir“, verteidigte sich der Magier. “Ich erwarte das Erscheinen des Auserwählten. Hast du Nachricht von seinem Eintreffen erhalten?“
“Nein. Beruhige dich und verlasse dich ganz auf mich. Du wirst gar allzu nervös auf deine alten Tage?“
“Das sagst du nun schon seit Jahren. Vielleicht haben wir ihn verpasst, und während wir hier warten, hat der Wächter ihn gefangen und zerbrochen. Und was tun wir dann? Die letzten belebten Wälder Burnyks wissen kaum etwas neues zu berichten, seit die Menschen ihre Nähe meiden.“
Der Magier erinnerte sich an eine längst vergangene Zeit, in der er mit dem schwarzen Nidar das Talikon erkundet hatte. Das war in jenen Jahren gewesen, als er nach langer Suche das Grab des Wikt endlich gefunden hatte und so hatten er und Nidar einen Silberahorn hier im Talikon gebeten, ihnen einen einzigen seiner Zweige zu überlassen, damit sie in der wirklichen Welt den ersten belebten Baum pflanzen konnten: Dahliger. Mit dem Gefängnis für den schwarzen Wikt war zugleich das Zeitalter des Gleichklangs begründet worden.
Was, so fragte sich der Magier insgeheim, was wäre die Welt ohne mich und Nidar? Ein trauriger Ort, bar jeder Schönheit. Zuletzt waren nur kümmerliche Wäldchen jenseits des Tores übriggeblieben, so dass kaum noch ein Austausch stattfinden konnte zwischen der wirklichen und dieser Welt. „Drei Wälder stehen noch, mein Freund, drei von über einhundert. Und nun sind wir fast blind.“
“Still, du neunmalkluger Mensch“, unterbrach die Eberesche den Magier. “Wir haben immerhin erfahren, dass der Drache aus dem Holz befreit wurde; von einem jungen Tischler - das muss dir doch gefallen, oder etwa nicht?“
“Aber er hat ihn nicht behalten, dieser Einfaltspinsel, sondern hat ihn weggeschenkt.
“Ja. An einen jungen Magier. Und zurecht. Denn dieser hat den Drachen mit seinen Schuppen belebt. Auch mein Fluch, mit dem ich Wikt für seinen Frevel belegte, hat seine Wirkung getan - immerhin, wenngleich ich zugeben muss, dass er dank deiner Hilfe begrenzt worden ist. Ein prächtiges Stück Magie war das, mein Freund, ihn mit dem Silberahorn zusammenzufügen. Wikt lebt und ist jetzt Wigget.“
“Der Drache im Holz ist gefunden, ja. Der junge Magier schlägt sich tapfer. Sein ganzes Leben hat er in den Dienst des Tischlers gestellt und ihn ein ums andere Mal vor Verletzungen und Schlimmerem bewahrt.“
“Vielleicht ist der Tischler der Erwählte.“
“Das darf nicht sein!“,
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