Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
näherten und Juwel den Golem Eichenherz sicher und ungesehen zum Talikon geleitete, ritt ein Jäger aus Lendorial in wildem Galopp in Lindenbrunn ein. Sein Name war Arigan und das Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Noch ehe er das Stadttor erreichte, brüllte er immerzu die gleichen Worte: „Zu den Waffen! Nat Chatkas kommen! Verteidigt eure Stadt! Zu den Waffen.“
Die Nachricht vom bevorstehenden Schlangenangriff rollte wie eine Flutwelle durch die kleine Stadt und begrub alle Vernunft unter der Sorge um das eigene Wohlergehen.
Die Lindenbrunner blickten auf einen langen, viele Generationen währenden Frieden zurück, aber von dem ehemaligen heldenhaften und sagenumwobenen Kampfesmut ihrer Altvorderen, den diese sich in vielen Schlachten errungen hatten, war nichts geblieben.
Allein Tallis Lomen, der Böttcher, bewahrte Ruhe und suchte den entstehenden Aufruhr im Zaum zu halten. In ihm floss das Blut der Helden von einst. Als er den Ruf des Jägers vernahm, ließ er fluchend von seiner Arbeit ab und eilte aus seiner Werkstatt. In der Nähe des Hafens hatte sich eine große Menschenmenge zusammengefunden. Als er die letzte Reihe erreichte, vernahm er die beruhigend sprechende Stimme des alten Oberst Nika, der Arigan zur Rede stellte. Nun stand Tallis Lomen ganz still und lauschte, was Arigan zu sagen hatte.
Nach den Erklärungen des Jägers zu schließen, hatte er am frühen Nachmittag weit südlich des Nachtwaldes gejagt, als ein eigenartiges Zischen und Schnalzen vernehmbar wurde. Daraufhin hatte er sich versteckt und bald danach die ersten von weit über zweihundert Nat Chatkas gen Norden eilen sehen. Arigan hatte sein Pferd bestiegen und war, einen weiten Bogen nach Osten und Nordwesten schlagend, um den Nachtwald geritten. Das letzte, was er von den Chetekken hatte sehen können, war, dass sie am Rande des Nachtwaldes ein Lager aufgeschlagen und wahllos Bäume gefällt hatten.
Arigan beendete seinen Bericht und sah suchend über die Köpfe der Menschenmenge hinweg bis er Tallis Lomen erkannte. Der Böttcher gab ihm ein Zeichen und Arigan bestätigte es mit einem kurzen Nicken.
Nun trat Prinzessin Yanea vor die unruhige Menge. Tallis Lomen eilte davon. Hinte ihm wurden die Worte der Prinzessin immer leiser. Sie sprach von den wahren Werten Burnyks und dem Tyrannen Pretorius. Tallis wünschte ihr Glück. Aber sein Platz war nicht länger hier. Er lief zielstrebig zurück in seine Werkstatt. Dort angekommen, packte er ein wenig Brot und Käse ein, füllte eine Wasserflasche und schlüpfte in einen weiten, grünbraunen Umhang. Zuletzt hängte er sich einen faustgroßen, abgewetzten Lederbeutel an den Gürtel, den er vor vielen Jahren von seiner Großmutter erhalten hatte. Er prüfte lange, ob der Beutel sich auch nicht im Lauf lösen würde, überprüfte die Schlinge, die den Beutel zuhielt mehrere Male und verließ seine Werkstatt erst, als er sicher war, weder den Beutel noch dessen Inhalt zu verlieren. Vor der Tür traf er auf Arigan.
„Wo bleibst du solange?“, fragte Tallis Lomen.
„Ich konnte nicht schneller kommen.“
Die beiden Männer warfen einen letzten Blick zurück und liefen dann nach Süden. Oberst Nika stand neben Yanea, unerschütterlich und aufrecht. Er war ein fähiger Offizier und würde mit seinen Veteranen die Stadtmauern bis zum letzten Atemzug verteidigen. Aber Tallis Lomen wusste auch, dass die Menschen hier den Schlangen wenig entgegenzusetzen hatten.
Sie verließen Lindenbrunn und schritten zügig aus. Inzwischen war die Dämmerung angebrochen. Als sie den Wald erreichten, vernahmen sie das Fauchen und Zischen der gegabelten Chetekkenzungen. Unbeirrt gingen sie weiter bis sie die hellen Lagerfeuer der Schlangen ausmachen konnten, die hell durch das beginnende Dunkel der Nacht strahlten.
Dann hielt Arigan an. „Es wird Zeit, dass du mir deinen Plan verrätst, Tallis.“
Das Kinn entschlossen vorgereckt, den Blick grimmig geradeaus gerichtet sagte Tallis Lomen leise: „Es gibt keinen Plan. Ich hatte keine Zeit, mir einen auszudenken.“
„Was tun wir dann hier?“
„Wir verschaffen Lindenbrunn ein wenig Zeit. Wir müssen die Chetekken aufhalten. Bis Mitternacht. Nicht länger. Das genügt. Es muss einfach genügen!“
„Und dann? Was geschieht um Mitternacht?“
„Der Auserwählte wird Pretorius gegenübertreten. Wenn er seinen Kampf gewinnt, wird dieses Gesindel voraus niemanden mehr haben, der es lenkt. Ihre Beharrlichkeit wird in Verwirrung umschlagen.
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