Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
monatelang mit seinem Großvater vorbereitet hatte. Er stand im vorletzten Kampf um die Meisterschaft seinem Vater gegenüber und zum ersten Mal wurde aus dem beständig nagenden Zweifel eine tiefe Überzeugung: Ich werde wieder verlieren, dachte Alep. Mit trockener Kehle und einem dumpfen Gefühl im Magen legte er Harnisch und Helm an und stellte sich in Position.
Die Menge um ihn herum hielt den Atem an. Alep spürte die Blicke aller auf sich ruhen und fragte sich besorgt, was seine Mutter und die übrigen aus der Familie nun dachten. Er wusste, dass niemand, ausgenommen Großvater und vielleicht noch Großmutter Elders, mit seiner Entscheidung einverstanden war. Und die kleine Rina war hin- und hergerissen zwischen Vater und Bruder. Dieses Wissen half Alep überhaupt nicht, im Gegenteil, es machte ihn unsicher. Aber aus dieser Unsicherheit wuchs langsam eine unbändige Wut, während er seinen Vater beobachtete, der grinsend in seinen Harnisch schlüpfte. Alep fasste den Schlagstock fester. Endlich war Velde fertig und stellte sich bereit.
Alep ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Dann kam das Zeichen. Der Kampf war freigegeben. Aber beide, Vater und Sohn, rührten sich kein Stück. Reglos warteten sie auf die erste Bewegung des anderen.
Geduld war eine der Übungen, die Alep mit seinem Großvater wieder und wieder geübt hatte. Es fiel ihm leicht, seine Haltung unverändert beizubehalten und darauf zu warten, dass Velde eine, nur eine einzige Bewegung machte. Die Sekunden verstrichen endlos langsam, und Alep bemerkte, dass es ihm zusehends schwerer fiel, ruhig zu bleiben. Er spielte mehr als einmal mit dem Gedanken, einen schnellen Ausfall zu riskieren und seinen Vater so zu überraschen. Aber Alep wusste genau, dass Velde nur auf einen unüberlegten Angriff wartete und er hatte nicht vor, sich den Kampfstil seines Vaters aufzwingen zu lassen. Mühsam versuchte er, Großvaters Bild heraufzubeschwören.
Da vernahm er Wiggets Stimme in seinem Geist. Nicht so, Grünschnabel , tadelte er vorwurfsvoll.
Verschwinde. Ich brauche alle meine Sinne , erwiderte Alep zornig.
Ja, ja, erklärte Wigget beleidigt, und fügte noch schnell hinzu: erfasst anstelle des Bildes Eures Großvaters den Stab in Euren Händen. Er ist belebt.
Dann war Wigget verschwunden und in Aleps Geist formte sich für einen winzigen Augenblick das Bild des Stabes. Alep tastete danach, und kaum hatte er Verbindung zum Stab aufgenommen, breitete sich eine nie gekannte Gelassenheit in ihm aus. Sein Herzschlag beruhigte sich zusehends ebenso wie sein Atem. Durch das Gitternetz vor seinem Gesicht betrachtete er seinen Vater abwartend. Velde schien die Veränderung seines Sohnes bemerkt zu haben. Sein rechter Fuß schob sich unmerklich vor. Das war das Zeichen, auf das Alep gewartet hatte. Er bereitete sich auf einen direkten Angriff vor. Da sprang Velde Elders auch schon heran und stieß seinen Stab gegen Aleps Brust. Aber Alep hatte den Stoß kommen sehen, drehte sich zur Seite und führte einen Schlag gegen Veldes Oberarm. Doch Aleps Vater taumelte nicht wie erwartet vom eigenen Schwung getragen an Alep vorbei. Natürlich nicht. Er stand längst schon wieder sicher da. Das untere Ende seines Schlagstockes zielte auf Aleps Fuß. Ja, dachte Alep, die Eldersche Variante nach einem verpatzten Angriff. Wenn du deinen Gegner beim ersten Mal verfehlst, brich ihm den Knöchel.
Aber diesmal zog Alep seinen Fuß nicht zurück. Er änderte seinen Schlag, führte den Stab in einem Schwung und schlug Veldes Stock nach oben. Sofort setzte Alep nach. Mit einem heftigen Ruck stieß er das untere Stockende nach oben gegen Veldes Oberschenkel. Nur mit Mühe konnte Velde ausweichen.
Alep sah seinen Vater durch das Gitternetz seines Helmes lächeln. „Du und dein Freund Kwin“, sagte er leise, „ihr beide seid noch nicht soweit.“
Velde hatte den Namen Kwin noch nicht ausgesprochen, da legte sich auch schon ein Schleier über Aleps Augen und seine Wut erwachte.
Schneller, überlegte Alep, ich muss noch schneller sein, sonst erwische ich ihn nie. Und Alep wurde schneller. Er tanzte wie ein Irrwisch um Velde herum, parierte dessen Schläge und trieb ihn langsam zum Rand des Platzes. Alep führte einen heftigen Schlag, änderte im letzten Moment die Richtung und streifte die linke Hand seines Vaters. Es war das erste Mal für diesen Tag, dass einer der beiden einen Treffer hatte anbringen können. Aber noch war es nicht zu Ende und Velde Elders war noch lange nicht
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