Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
geschlagen. Noch schneller, forderte Alep sich selbst. Irgendwann muss er müde werden!
Für einen kurzen Augenblick schoss Alep der Gedanke durch den Sinn, was sein Vater in diesem Augenblick fühlte oder dachte. Unwirsch verdrängte er diese Überlegung und setzte zu einem neuen Angriff an. Diesmal traf er Velde kurz oberhalb des Knies und war sicher, dass dieser Schlag weh getan hatte. Ja, Vater, dachte Alep mit grimmiger Entschlossenheit, so ist das Leben - und so ist dein Sohn. Und heute werde ich dich schlagen, auch wenn es mir hinterher leid tun wird.
Wieder und wieder traf Alep seinen Vater mit heftigen Schlägen. Die Hiebe, die Velde ihm zufügte, spürte er nicht. Alep fühlte sich wie in einem Rausch. Die letzten Schranken fielen. Nur noch eins hatte Geltung: diesen Kampf zu gewinnen. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er etwas besser machte als sein Vater, sein Bruder, oder sonst irgendwer. Der über all die Jahre aufgestaute Zorn unzähliger Enttäuschungen brach heraus und erfüllte ihn mit einer Entschlossenheit, die er nie zuvor gespürt hatte. Vergessen war alles, was ihn umgab, und vergessen war auch, dass der Mensch dort hinter der Maske und dem Harnisch sein Vater war. Noch einmal schlug er zu und noch einmal. Dabei prasselten die Schläge seines Vaters auf ihn hernieder und trafen ihn an Brust, Arm und Bein. Alep holte zu einem allerletzten, gewaltigen Schlag aus, als Velde seinen Stab fallenließ, die Hände emporstreckte und mit lauter Stimme: „Halt!“
Es dauerte einen Moment, bevor Alep bemerkte, was geschehen war. Überrascht und erschöpft, aber kein bisschen über seinen Sieg befriedigt ließ er den Schlagstock fallen, sank auf die Knie und fiel in den Sand. Das letzte, was er hörte, war das ungläubige Gemurmel der Zuschauer. Dann schloss er die Augen.
Als Alep die Augen wieder öffnete erkannte er Kwin, der ihn besorgt musterte. „Wer hat gewonnen?“, fragte er krächzend.
„Du hast gewonnen“, erklärte Kwin mit wütender Stimme. „Warum? Warum hast du das getan, Alep? Du hättest sterben können!“
„Was denn?“, wollte Alep wissen, der sich nur müde fühlte. Da vernahm er eine andere Stimme. „Nichts! Gar nichts. Keine Quetschung, keine Brüche, noch nicht einmal ein blauer Fleck.“
Ächzend hob Alep seinen Kopf ein wenig an. Die Stimme gehörte Oma Elders, die ratlos seinen fast nackten Körper betrachtete. „Nimm den Helm ab, Kwin. Ich bin sicher, dass zumindest sein Kopf ein paar gehörige Dellen abbekommen hat.“
Alep spürte Kwins Finger an seinem Hals. Er fühlte die wohltuend sanften Hände seiner Großmutter über seinen Kopf streichen. „Auch hier scheint alles in Ordnung. Keine Verletzung“, erklärte sie verblüfft.
Alep sah sich um. In einigen Metern Abstand erkannte er seinen Vater, der sich müde auf seinen Stab stützte. Verwundert betrachtete er Velde. Das konnte er nicht verstehen. Weshalb lag er hier und sein Vater stand dort, wenn er doch den Wettkampf gewonnen hatte.
„Was ist passiert?“, fragte Alep seinen Vater.
Langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht näherte sich Velde. „Du hast mich besiegt. Ich gratuliere dir.“
Alep sah Velde an. Ein dünnes Blutrinnsal zog sich von der Stirn über die Wange bis zum Kinn und tropfte von dort auf den Rand des Harnischs. „Aber wieso liege ich dann hier?“
„Weil du umgefallen bist“, erklärte Velde schlicht. „Eigentlich solltest du im Augenblick mehr Ähnlichkeit mit einer Schüssel Brei haben als mit einem Mann.“ Velde schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nie jemanden so verprügelt wie dich, und du hast noch nicht einmal eine Schramme. Ich verstehe es nicht.“
Aber ich, dachte Kwin, der den Worten Veldes aufmerksam gelauscht hatte. So war es schon immer gewesen, wenn Alep handgreiflich geworden war. Seit sie Kinder waren. Selbst die wüstesten Prügeleien hatte er ohne Kratzer überstanden, was man von seinen Gegnern nicht hatte behaupten können.
„Ich halte das“, sagte Oma Elders, und nahm den Eschenstock in die Hand. „Jetzt helft ihm auf.“
„Wer hat den zweiten Kampf gewonnen?“, wollte Alep wissen, als er wieder stand.
„Großer, der Fremde“, berichtete Kwin. „Er hat im Kampf Bauer Dingel getötet.“
Alep stöhnte. „Wann beginnt das Finale?“
„Gar nicht“, hilflos zuckte Kwin die Schultern. „Da du bewusstlos warst, wurde der Fremde kampflos zum Sieger erklärt. Alle waren dagegen, aber so sind nun mal die Regeln.“
Alep
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