Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

freigegeben hatte, sprach die Stimme nach Jahrhunderten des Schweigens und sie sprach lange. Sie erzählte mir vom bevorstehenden Untergang der Magie und den Auserwählten, die dieses Schicksal abwenden könnten. Ich erfuhr etwas über Pretorius und seinen dienstbaren Geist Knoll, von Kwin und von Twist und nicht zuletzt von Euch, Magier, dem Auserwählten. Dann weihte man mich in meine Aufgabe ein, die als Sühne für meine früheren Taten gelten soll. Ich nahm an, denn ich wollte leben um jeden Preis. Wenn es mir gelingt, meinen Auftrag erfolgreich abzuschließen, dann bleibe ich hier und folge nicht meinen Ahnen nach. Noch nicht.
    Deshalb stehe ich Euch bei. Ich bin der Drache im Holz, der in der Prophezeiung genannt ist.“ Wigget machte eine Pause. „Ich bin Euer Berater. Mehr gibt es nicht zu sagen. Also habt Vertrauen.“ Bevor Alep etwas erwidern konnte, spreizte Wigget seine Flügel und verließ die Höhle.
    Kwin erholte sich in den beiden folgenden Tagen. In all diesen Stunden unterwies Wigget seinen jungen Schüler Alep. Zu seiner eigenen Überraschung stellte Alep fest, dass es ihm leichtfiel, Wigget Glauben zu schenken, ja, er genoss die Anwesenheit des Drachen sogar. Das Misstrauen zwischen ihnen war verschwunden. Langsam entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Drache und Mensch.
    Die Unterweisungen, die Wigget Alep erteilte, waren reine Lehrstunden ohne praktische Anwendung von Magie, was Alep bedauerte. Er erfuhr viel über das Element Erde, lauschte den Geschichten, die Wigget zum Besten gab, und selbst Kwin schien neugierig und stellte Fragen, wenn er etwas nicht verstanden hatte.
    Später forderte Wigget seinen Schüler auf, diesen oder jenen Gegenstand nur mit Geisteskraft zu bewegen. Dies war ein Aspekt der Magie, den sowohl Alep als auch Kwin schnell zu schätzen lernten, konnte Kwin doch Alep um dieses oder jenes bitten, ohne dass einer von beiden sich bewegen musste. So schwebten gefüllte Suppenteller, Wasserschläuche, dampfende Teebecher und allerlei andere Dinge quer durch die Höhle von Alep zu Kwin und wieder zurück.
    An diesem Abend verlangte Kwin ein Stück Holz und sein Schnitzmesser. Er arbeitete die halbe Nacht und den ganzen nächsten Tag. Wigget beobachtete die Schnitzarbeit des Tischlers. Lange saß er schweigend daneben und fragte dann traurig: „Weshalb konntet Ihr mich nicht mit so viel Muße und Kunst schnitzen, wie Ihr es bei diesem Falken tut?“
    Die Tage in der Höhle waren für Alep die schönsten, die er seit vielen Jahren erlebte. Er machte sich keine Sorgen um die Zukunft, lernte, was Wigget ihm beibrachte und führte lange Gespräche mit Kwin, dem er niemals näher gewesen war als in dieser Zeit. Oft ging er gemeinsam mit Wigget, oder auch allein in den Fels und betrachtete müßig die Farben und Formen im Inneren des Berges.
    Am vierten Tag nach Kwins Heilung verließen die Gefährten die Höhle und setzten ihren Weg nach Hornburg fort. Eine weitere Woche verging, bevor sie die Trollhöhen erreichten, die Grenze zwischen Kahlitaer und Lendorial, dem eigentlichen Kernland Burnyks. Verglichen mit den Steinholzbergen war es nur ein schmaler aber weit höherer Gebirgszug.
    Hier, so erzählte die Legende, stand vor undenklichen Zeiten die Wiege der Bergtrolle. Schwere, urige Gesellen waren das, die das Licht scheuten und den verschiedenen Wesen der Welt - vor allem aber den Menschen - aus dem Weg gingen. Viele gab es nicht mehr, aber immer wieder erreichten Berichte einsamer Wanderer die Städte Burnyks, in denen von den urtümlichen Siedlungen der Trolle die Rede war, von ihren weisen Frauen und den Kindern mit den großen, runden Augen.
    Als die Gefährten zum Gipfel hinaufstiegen, änderte sich das Wetter. Es wurde zusehends kälter. Der Atem gefror ihnen vor dem Mund und sie fanden kaum noch Brennholz. Es wurde so kalt, dass selbst Wigget seine beständig gute Laune verlor. Er beklagte sich unentwegt und fand neue, noch schönere Sprachschnörkel, um seinem Unmut über die Kälte Ausdruck zu verleihen. Die prächtigen Flüche und Verwünschungen des Drachen versetzten Alep und Kwin zuerst in Erstaunen und dann in helles Entzücken - was Wigget nur noch mehr ärgerte.
    Als sie den Gipfel passierten, fiel der erste Schnee, und so beeilten sie sich mit dem Abstieg. Vor ihnen erstreckte sich die weite, von hohen Hügeln durchzogene Landschaft Lendorials. Von ihrem Standort konnten sie die fruchtbare Westküste des Drachensees erkennen, in dessen Mitte sich