Der falsche Engel
werden Sie gesund.«
Sergej brachte ihn in den Flur, die Hände gegen die Schläfen gepresst und das Gesicht schmerzhaft verzogen.
»Mir platzt der Kopf«, klagte er, »so eine Gehirnerschütterung ist wirklich scheußlich.«
Pleschakow nickte mitfühlend. »Ja, eine unangenehme Sache. Vielleicht sollten Sie sich in nächster Zeit nicht selbst ans Steuer
setzen? Ich schicke Ihnen gern einen Chauffeur.«
»Danke.« Sergej lächelte. »Das schaffe ich schon. Ich möchte mich nicht ganz und gar als Invalide fühlen.«
»Ich verstehe. Sie holen also heute Nacht Ihre Eltern selbst ab?«
Hoppla, dröhnte es in Sergejs Kopf. Mama und Papa kommen heute Nacht. Unmöglich, dass ich das nicht wusste. Wie er mich ansieht,
wie er mich ansieht! Hat er gleich etwas gespürt und es sich nur nicht anmerken lassen? Oder nicht? Ich werde zu argwöhnisch.
Raiski hat mir hundertmal gesagt, ich dürfe keine Sekunde an mir zweifeln. Könnte Gerassimow die Ankunft seiner Eltern vergessen
haben? Aber klar!
»Entschuldigen Sie, dass ich mich in Ihre familiären Angelegenheiten einmische«, fuhr Pleschakow mit gesenkter Stimme fort,
»aber Sie sollten sie lieber abholen, in Anbetracht des Zustands Ihres Vaters …«
»Ach …«, sagte Sergej verwirrt, »was ist denn mit ihm?«
Er erschrak – womöglich hatte er etwas Falsches gesagt, aber es war alles richtig. Pleschakow senkte den Kopf und sagte noch
leiser: »Ich wollte schon lange mit Ihnen reden,konnte mich aber nicht entschließen. Ich glaube, Ihr Vater ist krank. Schwerkrank. Er will mit niemandem darüber sprechen,
Sie kennen ihn ja. Ich fürchte, diese hastige, vorzeitige Rückkehr nach Moskau ist kein gutes Zeichen. Sie sollten mit ihm
sprechen, ihn überreden, sich untersuchen zu lassen.«
Sergej nickte. »Ja, ich werde es probieren, und natürlich hole ich sie ab, aber schicken Sie mir doch lieber einen Wagen.«
Als sich die Tür hinter Pleschakow geschlossen hatte, lief Sergej ins Arbeitszimmer und überprüfte die Zahlen, die er notiert
hatte. Es schien alles zu stimmen. Eine Weile starrte er dumpf auf den Zettel. Er wusste nicht, wie viel eine Partie Computer
kosten konnte, doch die Summe schien ihm übertrieben. Auch das Beraterhonorar war verblüffend großzügig. Das Erstaunlichste
aber war der Name des Beraters. Er, nein, sie hieß Angela Boldjanko.
Einunddreißigstes Kapitel
Die Schlange am Business-Class-Schalter war kurz. Noch ehe Stas zu sich gekommen war, stellte das Mädchen hinterm Tresen ihm
bereits Fragen, und er machte nur den Mund auf und zu wie ein Fisch.
»Es sind ältere Herrschaften, das Stehen fällt ihnen schwer, sie kommen gleich«, erklärte Nikolai an seiner Stelle, »einen
Augenblick.« Er lächelte das Mädchen strahlend an, stieß Stas den Ellbogen in die Seite und flüsterte ihm wütend ins Ohr:
»Nun stehen Sie nicht rum wie ein Ölgötze, gehen Sie, schnell! Nach rechts, zum Klo!«
Stas sah sich verwirrt um und lief abrupt los, prallte dabei gegen eine füllige Dame in der Schlange und rannte, ohne sich
zu entschuldigen, in die angegebene Richtung.
»Flegel!«, bemerkte die Dame kaltblütig und richtete ihre Frisur.
Nikolai entschuldigte sich für Stas, lächelte das Mädchen am Schalter noch einmal an und ging die Gerassimows holen.
All diese Manipulationen sollten, so der General, die Verfolger ablenken. In Stanislaws Tasche lagen Shorts, ein dunkles T-Shirt
und eine Jeansmütze mit großem Schirm. Er sollte sich in der Toilette einschließen und die helle Hose und das grellbunte Hawaiihemd
gegen Shorts und T-Shirt tauschen. Das veränderte sein Erscheinungsbild sehr, und der Mützenschirm verdeckte das halbe Gesicht.
Dann sollte er rasch aus der Abflughalle in die Ankunftshalle hinüberlaufen und auf Umwegen auf den riesigen Parkplatz vorm
Flughafen. Dort wartete an verabredeter Stelle ein unauffälliger grauer Opel.
Der General war überzeugt: Wenn die mutmaßlichen Verfolger Nikolai allein in seinen Wagen steigen sahen, würden sie glauben,
dass Stas mit den Eltern nach Moskau geflogen war.
In der Toilettenkabine brauchte Stas einige Minuten, um zu verschnaufen und zu sich kommen. Das Herz schlug ihm noch immer
im Hals. Die Begegnung mit der schwarzäugigen blonden Schönen hatte ihn stärker erschüttert als alles, was zuvor geschehen
war. Zum hundertsten Mal ging er im Kopf sein Gespräch mit Michejew durch und erkannte immer deutlicher, was für ein Idiot
er gewesen war. Das
Weitere Kostenlose Bücher