Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
studiert, hob den Kopf und sah Julia mit kleinen, stechenden Augen an.
    »Doktor, Sie reden mit mir, als würden Sie mir einen Gefallen tun«, bemerkte die Dame, das wabbelige Kinn hochmütig gereckt,
     »dabei müssten Sie bei den Preisen jedem Patienten die Füße küssen.«
    In Julias Kitteltasche klingelte das Handy. Sie griff danach, in der Hoffnung, es sei Raiski mit Neuigkeiten, hörte aber eine
     ganz andere Stimme.
    »Julia, ich bins.«
    Sie erkannte ihn, traute aber ihren Ohren nicht.
    »Ja, hallo«, antwortete sie, unsicher, mit welchem Namen sie ihn jetzt ansprechen sollte.
    »Hier ist Sergej«, sagte er. »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Ich komme gleich zu Ihnen in die Klinik. Rufen Sie bei der Wache an und sagen Sie Bescheid, dass Sie den Patienten Naidjonow
     erwarten.«
    Vika hatte die Überweisungen für die füllige Dame ausgestellt und erklärte ihr geduldig, welche Tests wozu nötig waren. Julia
     rief die Wache an.
    »Doktor, Sie sehen mich an, als wäre ich an meinen Fettablagerungen selber schuld«, sagte die Dame plötzlich.
    Julia zuckte die Achseln. »Ich sehe Sie ganz normal an.«
    »Natürlich. Sie haben eben furchtbar viel zu tun. Sie telefonieren die ganze Zeit.«
    »Entschuldigen Sie«, erwiderte Julia mit ausdrucksloser Stimme und verschränkte die eiskalten Finger, bis es weh tat.
     
    Das Schloss knirschte. Eine alte Frau mit schwarzem Kopftuch kam herein und stellte eine Flasche Mineralwasser und ein Glas
     auf den Couchtisch vor Angela.
    »Danke.« Angela öffnete die Flasche und trank gierig daraus, doch als sie sah, dass die Alte schon wieder ging, hielt sie
     inne und rief ihr nach: »He, eine Zigarette wäre nicht schlecht und was zu essen! Und ich will wissen, wann Schamil kommt!«
    Die Alte maß sie mit einem langen, leeren Blick und entfernte sich wortlos. Erneut knirschte das Schloss. Angela sprang vom
     Sofa, lief barfuß zur Tür, hämmerte mit den Fäusten dagegen und schrie: »Wo habt ihr Mila gelassen? Ich will diesem Miststück
     in die Augen sehen!«
    Die Reaktion darauf war ein undeutliches Geraschel.
    »Was ist, ihr Ratten, habt ihr euch verkrochen?« Angela stellte sich mit dem Rücken an die Tür und trat etliche Male mit dem
     nackten Fuß dagegen. »Habt wohl Schiss gekriegt, ja? Recht so! Das erzähle ich alles Schamil, wie ihr mich hier behandelt!«
    Je lauter sie schrie, desto sicherer fühlte sie sich. Sie wusste, dass ohne Schamils Befehl niemand sie anrühren würde. Und
     er würde keinen derartigen Befehl erteilen – auf ihrem Konto in Zypern lag sein Geld.
    Die Tür wäre beinahe gegen Angelas Kopf geprallt. Auf der Schwelle stand wieder die Alte, diesmal mit einem Tablett, darauf
     ein dampfendes Kaffeekännchen, eine Tasse, ein kleines weißes Fladenbrot, Ziegenkäse und Kräuter.
    »Klasse!« Angela klatschte freudig in die Hände. »Danke, Oma. Stells hier auf den Tisch und mach das Fenster auf, sei so gut.«
     Sie huschte in den Flur hinaus. Sofort vertrat ihr ein riesiger bärtiger Bursche mit einem schwarzen Tuch um den Kopf den
     Weg. An seiner Hüfte baumelte eine MPi. Er war einer von Ismailows persönlichen Bodyguards.
    »Hallo, Achmed!« Angela nickte ihm zu. »Bring mich zur Toilette.«
    »Komm.« Er ließ sie vorangehen.
    Unterwegs sah Angela sich um. Das Haus kam ihr wesentlich kleiner und bescheidener vor als die Vorortvillen, in denen sie
     sich früher mit Schamil getroffen hatte. Zwei Etagen, eine Holztreppe, Holzwände, keine persischen Teppiche, sondern synthetischer
     Fußbodenbelag, ziemlich abgewetzte Möbel. Bei einem kurzen Blick aus einem Fenster mit offenen Läden sah sie nur hohe Fliederbüsche
     und eine Mauer.
    »Weißt du vielleicht, wann Schamil kommt?«, fragte sie Achmed.
    »Keine Ahnung«, brummte er mit vollem Bass.
    »Und wo ist Mila abgeblieben, meine Haushälterin?«
    »Keine Ahnung.«
    Sie wusch sich die Hände; der Spiegel überm Waschbecken zeigte ihr verunstaltetes, inzwischen aber schon fast vertrautes Gesicht,
     dahinter den bärtigen Kopf von Achmed mit dem schwarzen Piratentuch. Als ihre Blicke sich begegneten, traf es Angela wie ein
     Stromschlag – so leer, so unheimlich waren seine Augen. Sie hatte ihn schon öfter gesehen, aber noch nie hatte sie bemerkt,
     dass er den Blick eines lebenden Leichnams hatte.
     
    In Sofia verbrachte Stas Gerassimow keine drei Stunden. Er kaufte sich ein Ticket für den nächsten Flug nach Moskau und ruhte
     sich während des Fluges im leeren

Weitere Kostenlose Bücher