Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Winkel und Hintertreppen, die Flure sind schnurgerade,
     auf jeder Etage sitzen Posten. Er wird einfach im Hof ihres Hauses warten oder im Treppenhaus. Oder auf der Straße auf sie
     schießen, aus einem vorbeifahrenden Auto …
    Vor dem Sprechzimmer von Doktor Tichorezkaja saßen fünf Frauen verschiedenen Alters. Sergej setzte sich, griff nach einer
     Zeitschrift und vertiefte sich darin. Eine füllige, keuchende Dame kam aus dem Sprechzimmer, gefolgt von einem rothaarigen
     Mädchen im weißen Kittel, das die Wartenden musterte und schließlich neugierig bei Sergej verharrte.
    »Sind Sie Naidjonow? Kommen Sie bitte herein. Es dauert nur eine Minute, nur eine Minute«, beruhigte sie die wartenden Damen.
    Julia saß am Tisch und schrieb. Sie hob den Blick, und ein paar Sekunden lang sahen sie sich schweigend an.
    »Nehmen Sie bitte die Brille ab«, bat sie.
    Er tat, wie ihm geheißen, und trat näher. Sie berührte sein Gesicht und drehte es ins Licht.
    »Es ist alles in Ordnung. Die Narben können schon in einer Woche entfernt werden.
    »Was ist passiert?«, fragte sie stumm, nur mit den Lippen.
    »Sie haben mir sehr gefehlt«, antwortete er ebenso und fügte laut hinzu: »Julia, ich warte lieber draußen im Flur und komme
     herein, wenn ich dran bin. Ich habe es nicht eilig.«
    Kaum hatte Sergej draußen Platz genommen, als das Telefon in seiner Tasche klingelte.
    »Ich brauche Sie, Major«, sagte Raiski, »wo sind Sie gerade?«
    »In der Klinik.«
    »Wir haben das Haus. Ein OMON-Team ist schon unterwegs, aber Sie müssen dabeisein, nur Sie kennen sein Gesicht.«
    »Michail«, flüsterte Sergej, die Hand überm Hörer, »sind Sie absolut sicher, dass er in dem Haus ist?«
    »Nein. Er ist nicht da. Aber er wird kommen.« Raiski sprach hastig und erregt. »Ich habe eben herausgefunden, dass das Mädchen
     eine neue Bankkarte bestellt und den Pincode geändert hat. Sie hat dafür gesorgt, dass er nicht mehr an sein Geld kommt, verstehen
     Sie?«
    Zwei junge Krankenschwestern spazierten laut kichernd an Sergej vorbei.
    »Wie haben Sie …?«, fragte er, stand auf und ging ein Stück weg, ans leere Ende des Flurs.
    »Ganz einfach! Ich habe einen Bekannten bei der Steuerfahndung in Nikosia«, verkündete Raiski stolz.
    »Er wird trotzdem nicht kommen«, sagte Sergej, »er wird sie einfach an einen anderen Ort bringen lassen.«
    »Warum sind Sie da so sicher?«
    »Weil er nicht dümmer ist als wir beide, Oberst. Sagen Sie, brauchen Sie mich, um Angela dort wegzuholen? Oder schafft das
     Spezialteam das allein?«
    »Sie meinen, man sollte sie von dort wegholen? Wäre es nicht klüger, zu warten?«
    »Er wird dort nie auftauchen. Das Haus ist entdeckt, damit existiert es für ihn nicht mehr.«
    »Und sein Geld?«
    »Erstens ist sein Leben ihm immer noch mehr wert, und zweitens wird er alles tun, um an Angela ranzukommen, aber später und
     irgendwie anders.«
    »Dann sollten wir vielleicht abwarten, wohin sie sie bringen, und sie beschatten?«
    »Und wenn Sie sie verlieren?«
    »Ja, Sie haben recht. Das ist nicht auszuschließen. Na schön, Major, bleiben Sie einstweilen da, wenn Sie das für unbedingt
     nötig halten. Aber bleiben Sie erreichbar, schalten Sie das Telefon nicht ab.«
     
    Man brachte Stas Kaffee, eine Obstschale und einen Aschenbecher. Die zwei Stunden dehnten sich endlos. Dauernd huschten bewaffnete
     Männer vorbei, aus dem Nebenzimmer drangen schnelle tschetschenische Laute und das vielstimmige Klingeln mehrerer Telefone.
     Stas zupfte mechanisch an einer Weinrebe.
    Die Hektik nahm zu. Die bewaffneten Gorillas – Stas zählte mindestens fünf – rannten nun hin und her, mit den eisenbeschlagenen
     Schuhen klappernd. Stas zündete sich noch eine Zigarette an, und plötzlich wurde es still, als habe ein unsichtbarer Regisseur
     in die Hände geklatscht. Die Bewaffneten erstarrten beiderseits der Stahltür. Die Telefone verstummten. Auf Zehenspitzen kam
     die Serviererin herbeigeeilt, wechselte den Aschenbecher aus und stellte eine Flasche Mineralwasser und zwei Gläser auf den
     Tisch.
    Kurz darauf erschien ein nicht sehr großer, kräftiger Mann. Er war so alt wie Stas, wirkte aber älter, gesetzter. Helles,
     gelocktes Haar, ein rundes Bärtchen, etwas dunkler als das Haupthaar, blaue Augen hinter einer eleganten Brille mit Goldrahmen.
     Er wirkte gepflegt und seriös – ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein höherer Staatsbeamter, aber keinesfalls ein tschetschenischer
     Terrorist, der

Weitere Kostenlose Bücher