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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Bewohner jedes einzelnen Hauses.
    Eines der Sommerhäuser hatten die Besitzer für ein Jahr an eine Flüchtlingsfamilie aus dem Kaukasus vermietet, und die Nachbarinnen
     erzählten, einander ins Wort fallend, dass diese Flüchtlinge in Jeeps und Mercedes herumfuhren, jeden Tag Gäste empfingen
     und dauernd riesige Kisten und Kartons verluden.
    Die Spezialtruppe umstellte das Haus rasch und lautlos. Hinter einem Fenster im ersten Stock war eine dünne, lange Silhouette
     zu erkennen, durchs Fernglas erkannten die Männer einen kahlgeschorenen Kopf und ein formloses blaurosa Gesicht voller Narben.
    Angela war kaum erstaunt, als ein Mann in Tarnanzug und Maske und mit einer MPi zum Fenster hereinsprang. Im selben Moment
     stand Achmeds mächtige Gestalt in der Tür. Der Maskierte gab als Erster eine kurze Salve ab.
    Die beiden anderen Bewacher draußen waren schon zuvor unschädlich gemacht worden.
    Oberst Raiski hatte sie angewiesen, Angela direkt in die Lubjanka zu bringen, und von dort wurde sie unter strengstenSicherheitsmaßnahmen und verstärkter Bewachung auf eine geheime FSB-Basis am Rand des Moskauer Gebiets geschafft und in einem
     Hospital einquartiert, im selben Zimmer, in dem noch vor kurzem Sergej gelegen hatte.

Achtunddreißigstes Kapitel
    Die Schlange vor dem Sprechzimmer von Doktor Tichorezkaja bewegte sich nur langsam. Am Nachmittag nahm die Zahl der Patienten
     ab. Sergej betrachtete durch seine dunkle Brille eingehend alle Gesichter, Frauen wie Männer.
    Große Leberflecke. Narben. Verbände über Nase, Kinn oder übers ganze Gesicht. In einem Rollstuhl wurde eine Frau vorbeigefahren
     – Stirn und Wangen waren mit lila Schorf bedeckt, die Augen mit zwei weißen Ovalen überklebt. Sergej schaute dem kräftigen
     großen Sanitäter nach, der den Rollstuhl schob.
    Ausrasierter Stiernacken, niedrige Stirn, schwere Augenbrauen. Weite Hosen unterm Kittel. In den Taschen konnte er sonstwas
     verborgen haben. Der Sanitäter schob den Rollstuhl zu einem Sprechzimmer am anderen Ende des Flurs und kam zurück, direkt
     auf Sergej zu. Leichter, zielstrebiger Gang, jede Bewegung kraftvoll und präzise. Vor der Tür zu Julias Sprechzimmer angelangt,
     schob der Sanitäter eine Hand in die Hosentasche. Ohne zu überlegen, stürzte Sergej sich auf ihn und packte ihn am mächtigen
     Handgelenk.
    »He, Mann, was soll das?«, fragte der Sanitäter mit gutmütigem Erstaunen.
    Er hielt eine Schachtel Zigaretten in der Hand.
    »Entschuldige, ein Versehen«, murmelte Sergej und trat einen Schritt zurück.
    Der Mann maß ihn mit einem spöttischen Blick undflüsterte kaum hörbar: »Wenn ich er wäre, wärst du zu nichts mehr gekommen, Major«, und zwinkerte ihm zu.
    Sergej wusste, dass Raiski seine Leute in der Klinik hatte, dennoch war diese Begegnung eine angenehme Überraschung. Aber
     seine eigene Nervosität und Unüberlegtheit gaben ihm ernsthaft zu denken.
    Der Mann, auf den er wartete, würde von draußen kommen. Er würde nicht ins Sprechzimmer stürmen, die Pistole zücken und drauflosballern.
     Er würde still auftauchen, unauffällig, sich wie alle anderen in die Warteschlange setzen und sich in eine Zeitschrift oder
     ein Buch vertiefen. Womöglich war er bereits da.
    Die nächste Patientin kam aus dem Sprechzimmer, gefolgt von der rothaarigen Schwester, die Sergej einen neugierigen Blick
     zuwarf und sagte: »Ich glaube, Sie sind der Nächste.«
    »Ja.« Er nickte, doch bevor er hineinging, schaute er noch einmal in den Flur.
    Es hatte sich nichts verändert, doch plötzlich verspürte er ein Hämmern in den Schläfen. Er begriff nicht gleich, warum. In
     den letzten Minuten war kein neuer Patient dazugekommen. Das Mädchen mit den Verbrennungen, der Glatzkopf um die vierzig mit
     dem behaarten Muttermal übers halbe Gesicht, die Frau mit der verbundenen Nase und den schwarzen Ringen unter den Augen und
     ein etwa zwanzigjähriger Bursche mit rosa Aknenarben auf den runden Wangen. Glattes, dünnes semmelblondes Haar. Ein gutmütiges,
     einfaches Gesicht. Breite Stupsnase, graue Augen, helle, lange Wimpern wie bei einem Kalb.
    Sergej war schon mindestens fünfmal an ihm vorbeigegangen. Der Bursche genierte sich offenkundig, hier zu sitzen, er hatte
     den Kopf tief gesenkt und hielt ein aufgeschlagenes buntes Magazin auf dem Schoß.
    »Worauf warten Sie noch, kommen Sie herein«, sagte die Schwester.
    »Ja, gleich«, antwortete Sergej, den Blick noch immer auf das runde, aknenarbige Gesicht

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