Der falsche Engel
eine richtige Frau zu Hause zu sitzen und vollkommen vom Mann abhängig zu sein hat.«
»Ach ja, er ist also unschuldig! Er hatte eine schwere Kindheit!« Schura schrie fast, ihre Wangen färbten sich hitzig rot.
»Weißt du, wie man so was nennt, Mama? Neid! Er hat es nicht geschafft, ein erstklassiger Chirurg zu werden, im Gegensatz
zu dir, und hat hier rumgebrüllt, du würdest mit Mamonow schlafen, nur darum hättest du den Job in der Klinik und ein so hohes
Gehalt.«
»Das reicht jetzt, Schura. Schluss. Lass uns das Thema wechseln«, sagte Julia leise, »erzähl mal, wie es in der Schule aussieht.«
»Gut!«, motzte Schura und griff wieder nach ihrem Löffel. »In der Schule ist alles super. In der Physikarbeit hab ich eine
Zwei. Allerdings hab ich mir eine Vier in Literatur eingefangen, aber was kann ich dafür, wenn diese Idiotin uns zwingt, so
einen blöden Traum von Tschernyschewskis Vera Pawlowna aus ›Was tun?‹ auswendig zu lernen? Ich hab ehrlich gesagt, dass ich
das nicht kann.«
»Aha, so viel zur Literatur. Sonst noch Zensuren?«, fragte Julia, in der Hoffnung, das Gespräch über ihren Exmann sei damit
beendet. Aber sie irrte.
»Einsen in Englisch und in Informatik. Übrigens, Papa hat mich am Telefon total genervt mit seiner Fragerei nach meinen Zensuren.
Ich hab gesagt, ich hab lauter Vieren, raucheMarihuana und bin in der Minderjährigenkartei der Miliz erfasst. Ich hab ihn gefragt, ob er mir nicht ein paar Dutzend Rezepte
für anständige Pillen ausstellen kann und mir eine Abtreibung besorgen, so dass du nichts davon erfährst, denn meine zehnte
Abtreibung würdest du einfach nicht überleben, und ich wollte keine Waise werden.«
»Spinnst du? Wieso machst du dich so über ihn lustig?«
»Weißt du, er hat gar nicht gemerkt, dass ich ihn verlade. Er hat mir geglaubt. Stell dir vor, so gut und edel ist er! Er
hat mir geglaubt!« Schura lachte erneut und blies gegen ihren Pony, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Mir wird echt übel
von ihm. Er hat mir geglaubt, weil er es gern so hätte. Das ist Balsam für seine Wunden.«
»Mein Gott, Schura, was redest du da!«
»Ich sage nur die Wahrheit, Mama. Und du belügst dich und mich auch. Er hat kein Mitleid verdient. Erinnere dich, was für
Szenen er dir gemacht hat, wie er dir nachspioniert und dich erpresst hat, wie er sich bei der Scheidung vor Gericht aufgeführt
hat!«
»Er hat mich einfach geliebt, Schura. Und dich auch. Sehr sogar. Aber eben auf seine Weise. Und überhaupt – du warst damals
noch klein und hast nichts verstanden.«
»Mit acht ist man nicht mehr so klein. Ich hab alles sehr gut verstanden.«
Schura aß ihr Müsli auf, leerte mit einem Zug ihr Saftglas, lehnte sich zurück und redete nun ganz ruhig weiter: »Wenn er
dich geliebt hätte, dann hätte er sich über deine Erfolge gefreut und vor Gericht nicht gesagt, du seist keine vollwertige
Frau, weil du ihm nur ein einziges Kind geboren hast, das du außerdem nicht richtig erziehen könntest, weil du dich nur um
deine Karriere kümmerst.«
»Das hat er in der Hitze des Gefechts gesagt, ohne nachzudenken. Das hat ihm hinterher sehr leid getan«, erwiderte Julia leise,
»was sagt man nicht alles, wenn man sehrverletzt ist? Man darf niemanden für seine Worte verurteilen.«
»Ach, lass gut sein, Mama.« Schura verzog das Gesicht und winkte ab. »Schluss jetzt, mir reichts. Zum Teufel mit ihm! Hör
mal, ist dir gar nichts aufgefallen?« Ihre Augen funkelten und verengten sich zu Schlitzen.
»Nein.« Julia sah sich verwirrt um. »Doch, natürlich, mir ist aufgefallen, wie sauber es bei uns ist. Und Vika und du habt
den Halter für die Küchenrollen angebracht.«
»Und was noch?«
»Der Duschvorhang ist neu?«
»Mama! Dieser Vorhang mit den Fischen hängt seit zehn Jahren im Bad. Vika hat ihn bloß mal gewaschen. Du bist absolut unmöglich.
Ich hab dir heute zum ersten Mal Frühstück gemacht und Kaffee gekocht.« Schura setzte ein komisch-feierliches Gesicht auf.
»Isst du nun oder nicht? Du musst nämlich bald los. Übrigens, als du unter der Dusche warst, hat Vika angerufen und gesagt,
Angela wartet sehnsüchtig auf dich, sie geht schon allen auf die Nerven.«
Obwohl Julia Müsli nicht ausstehen konnte, musste sie sich ein paar Löffel hineinzwingen, um das Kind nicht zu kränken. Schuras
Kaffee war dünn und widerlich süß, doch Julia leerte tapfer die ganze Tasse, ohne das Gesicht zu verziehen.
Auf der
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