Der falsche Engel
abgenommen, benutzte nun ein
sehr helles Make-up, dunklen Lippenstift und dunkle Lidschatten und trug enge, ausgeschnittene Kleider à la Dekadenz. Sie
sang Romanzen, bisweilen Jazz und Swing. Zum Glück hatte sie eine wirklich gute, volle und kräftige Stimme. Ihre freien Abende
verbrachte sie auf diversen Partys, ließ sich ständig fotografieren, lernte eine Menge Leute kennen und war bald fast zu Hause
in der Welt des Showbusiness.
Doch trotz aller Anstrengungen wurde sie kein echter Star.
Sie schaute sich diejenigen an, die es geschafft hatten. Kein einziger der Stars stammte aus Moskau. Angela versuchte, hinter
ihr wichtigstes Geheimnis zu kommen: Wo und wie hatten sie das Geld aufgetrieben, um richtig groß rauszukommen? An das Märchen
vom lieben, netten Produzenten, der aus der ehrgeizigen Masse den künftigen Star herauspickte und selbstlos in ihn investierte,
glaubte Angela nicht. Das Ganze funktionierte irgendwie anders. Aber wie, kapierte sie nicht.
Und das war die vierte Frage, die das Leben ihr stellte. Simpel gesprochen: Sie brauchte Geld. Viel Geld.
Eines Tages wurde sie in einem teuren Restaurant in ein Separee gebeten. Dort saßen vier Männer kaukasischer Herkunft an einem
Tisch. Sie wollten sie kennenlernen. So etwas war schon häufiger geschehen, aber ihr Produzent hatte jedesmal erschrocken
den Kopf geschüttelt und geschrien: Mach das nicht! Du gerätst bloß in kriminelle Geschichten!
Sie setzte sich neben den jüngsten der vier Männer. Er hieß Schamil. Er wirkte nicht wie ein Kaukasier: Helle Locken, blaue
Augen und ansonsten nichts Besonderes. Doch sein Gesicht, seine Figur, sein Mund und der Schnitt seiner Augen bargen für Angela
etwas Schicksalhaftes. Sie begriff wirklich nicht, warum sie, sonst so abgebrüht und zynisch, unter seinen Blicken und Berührungen
plötzlich zitterte und dahinschmolz wie Kirschgelee im warmen Zimmer.
Sie verließen das Restaurant gemeinsam, stiegen in seinen weißen sechshunderter Mercedes, fuhren aber nicht zu ihm. Er brachte
sie nur nach Hause und küsste ihr zum Abschied die Hand. Am nächsten Morgen wurde sie von einem Klingeln an der Tür geweckt.
Davor stand ein Bote mit einem Korb japanischer Lilien.
Dann folgte eine stürmische Affäre – eine romantische Spanienreise, Fünfsternehotels, gemeinsame Besuche in Boutiquen in Madrid
und Barcelona. Angela brauchte ein Schmuck- oder Kleidungsstück nur etwas länger anzusehen, schon hob Schamil seine dichte
Braue und fragte, wobei sein sauber gestutzter Schnurrbart zuckte: »Willst dus? Nimms!«
Angela machte ihn mit ihrem Produzenten bekannt. Als der über die zynischen Gesetze des Showbusiness klagte, wurde er kurz
und großzügig gefragt: »Wie viel brauchst du?«, und er nannte bescheiden eine sechsstellige Summe. Der Prinz griff nach seinem
Handy, sagte etwas in seiner kehligen Sprache, und eine halbe Stunde später erschien einkleiner Mann mit Schirmmütze und langer Nase, legte respektvoll fünf dicke, gummiverschnürte Papierbündel vor Schamil hin.
Dann folgten die Zauberworte: »Willst dus? Nimms!«
Alles lief wie geschmiert. Es wurden CDs und Fernsehclips produziert, die Titel liefen im Radio, in der Presse erschienen
Fotos, es gab seriöse Konzerte, Massen von Fans, Talkshows.
Wer ihr Märchenprinz war, erfuhr sie zufällig aus den Fernsehnachrichten und war erschüttert, aber nicht, weil sich herausstellte,
dass er ein tschetschenischer Terrorist war. Etwas Derartiges hatte sie geahnt. Etwas anderes verblüffte sie. Schamil Ismailow
stand auf der Fahndungsliste, trotzdem fuhr er seelenruhig in seinem weißen Mercedes durch Moskau, besuchte teure Restaurants
und lebte in schicken Moskauer Vorstadtvillen, die er allerdings ständig wechselte. Manchmal verschwand er für eine Weile,
tauchte dann wieder auf und benahm sich in Moskau, als wäre er hier der Herr und nicht ein von den Geheimdiensten gesuchter
Bandit.
Gleich zu Beginn ihrer Affäre hatte er gesagt: Wenn dich jemand nach mir fragt, sag – den kenne ich nicht. Redlich wehrte
sie alle provokatorischen Fragen von Journalisten ab, besonders die, ob es stimme, dass das Geld für ihre Karriere von dem
bekannten tschetschenischen Terroristen Ismailow stamme, nach dem landesweit gefahndet werde.
»Ich verstehe«, antwortete sie dann nach einer langen Pause friedfertig, »dass mein rascher Erfolg Fragen aufwirft. Wie konnte
sie innerhalb von drei Jahren zum Superstar werden?
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