Der falsche Engel
nicht schlecht, und kurz darauf musste Angela sich eine neue Geschichte
ausdenken: Dass man ihr den Koffer mit dem Falschgeld aus dem Hotelzimmer gestohlen habe.
Schamil erzählte sie das Ganze auf Zypern, wohin sie nach der Tournee flog. Zum Geburtstag schenkte er ihr ein Schmuckset
mit Smaragden, dessen Preis nur wenig unter der Summe lag, die sie in ihrem Koffer transportiert hatte. In einer unauffälligen
kleinen Bank eröffnete er ein Konto auf ihren Namen, schärfte ihr jedoch ein, das sei sein Geld. Geld, das nirgends auftauchen
dürfe. Nach Moskau fuhr sie allein, er blieb noch, und wo er die folgenden drei Monate war, wusste sie nicht.
Als er wieder auftauchte, bemerkte sie unangenehme Veränderungen an ihm. Er war plötzlich grob, nervös. Eines Tages bestellte
er sie in sein Haus außerhalb der Stadt. Sie fuhr mit ihrem eigenen Auto hin, mitsamt ihrem Hund, dem Pekinesen Cloony, von
dem sie sich fast nie trennte.
Schamil schloss die Tür ab, zerrte sie ins Wohnzimmer, hielt ihr ein Foto in einer Zeitschrift unter die Nase, auf dem sie
sich mit Stas Gerassimow unterhielt, und fragte leise: »Was hast du mit ihm gehabt?«
Sie hatte nichts mit ihm gehabt, die Frage war absurd. Genau das sagte sie Schamil, lachte sogar.
»Weißt du, wer das ist?«, fragte Schamil noch leiser.
»Ein Spinner. Ein klebriger, schmalziger Typ. Sag mal, wieso regst du dich so auf? Ist doch egal, was für Typen mir nachrennen.«
»Ist dir bekannt, wer sein Vater ist?« Die Frage klang ruhig, sogar sanft. Über Schamils Gesicht huschte ein Schatten, und
Angela entspannte sich.
»O Gott, mein Sonnenschein, woher soll ich wissen, wer sein Vater ist? Ich erinnere mich nicht mal an seinen Namen.«
»Du lügst.« Schamil schüttelte den Kopf und bleckte die Zähne. »Sein Vater war beim KGB und hat meinen Vater ins Gefängnis
gebracht.«
Angela begriff, dass sie die Sache zu leicht genommen hatte. Woher sollte sie wissen, wer Gerassimows Vater war? Stas Gerassimow
hatte sie mit seinen Nachstellungen ernsthaft genervt, und sie hatte ihn grob und beleidigend abgewiesen. Später kam ihr zu
Ohren, dass er überall rumerzählte, sie hätte ihn genervt. Als Beweis ihrer angeblichen Intimität hatte der Mistkerl außerdem
verbreitet, sie schlucke Pillen. Dieses Gerücht hatte Schamil natürlich rasend gemacht. Angela wusste: Der Gedanke, dass sie
Drogen nehmen könnte, machte ihn verrückt. Aber dass Gerassimows Vater beim KGB gewesen war und mit der Verhaftung von Schamils
Vater zu tun hatte, war wirklich schlimm. Wenn es um seine Angehörigen ging, seinen Vater, seine Mutter, seine Brüder oder
Schwestern, sprang Ismailow jedem an die Gurgel, ohne genauer zu ergründen, wer Schuld und wer recht hatte.
Angela war so erschrocken, dass sie sich in ihren Erklärungen verhedderte. Ismailow wurde wild und hörte nicht mehr zu, antwortete
auf ihre Einwände mit einem Schlag ins Gesicht, geriet noch mehr in Rage und schlug sie brutal und systematisch zusammen.
Er trat mit den Füßennach ihrem Gesicht. Cloony kläffte wie wild und verbiss sich in sein Hosenbein. Ismailow schleuderte ihn so heftig beiseite,
dass sich der Hund an einer Marmorecke des Teetischs den Schädel zertrümmerte.
Schreien und um Hilfe rufen war zwecklos. Angela wusste: Weit und breit war keine Menschenseele. Ihr Gesicht war nur noch
eine blutige Masse. Cloony war in der Ecke verstummt. Angela verlor das Bewusstsein.
Auf dem Rücksitz ihres Wagens kam sie zu sich. Am Steuer saß ein Kaukasier, den sie nicht kannte. Der tote Hund lag auf dem
Boden. Angela konnte nicht sprechen, sie stöhnte nur leise, und der Mann am Steuer sagte, ohne sich umzudrehen: »Ich lass
dich auf deinem Hof liegen. Dann kommt ein Krankenwagen. Du sagst, das waren drei Kerle, die du nicht kennst. Wenn du was
anderes sagst, bist du tot. Aber wenn du vernünftig bist, hilft dir Schamil und bezahlt deine Behandlung. Hast du alles verstanden?«
Angela hatte verstanden. Und tat, wie ihr geheißen. Eine Kleinigkeit allerdings erlaubte sie sich. Als sie einigermaßen zu
sich gekommen war, schickte sie ein Fax an die Bank auf Zypern: Sie habe ihre Kreditkarte verloren und bitte um Änderung des
Pincodes.
Schamil hatte ihr nämlich nach Eröffnung des Kontos die Karte abgenommen. Sie konnte von ihrem Konto keine Kopeke abheben.
Zehn Tage später lag im Briefkasten ein dicker Umschlag mit einer goldenen Visacard, und eine Woche darauf kam ein Brief mit
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