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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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dem neuen Pincode. Sie prägte sich die vier Ziffern gründlich ein, verbrannte den Brief im Aschenbecher und versteckte die
     Kreditkarte hinterm Kleiderschrank, im Spalt unter der Fußbodenleiste.
    Schamil bezahlte die Behandlung nicht gleich. Zunächst verschwand er für anderthalb Monate. Dann rief er an, bat sie um Verzeihung,
     und ein kleiner Mann mit Schirmmützebrachte Angelas Produzent das Geld für die Behandlung in der Klinik für plastische Chirurgie. Was Angela mit dem Konto gemacht
     hatte, wusste Ismailow noch nicht.
    Angela sah an die Decke. Sie überlegte, dass sie mit einem neuen Gesicht noch einmal von vorn anfangen würde. Ohne Schamil.
     Sie war stark genug dafür. Schließlich war das nur eine weitere Frage in dem endlosen Interview, das das Leben mit ihr führte.
     Alle bisherigen hatte sie glänzend beantwortet. Das würde sie auch diesmal tun.

Neunzehntes Kapitel
    Major Loginow träumte von Julia. Sie liefen zu zweit über nassen Kies. Die blasse Sonne huschte über kahle Bäume. Alles ertrank
     in Nebel, als wäre Wasser auf ein Blatt Papier geflossen, auf eine flache Aquarelllandschaft. Nur Julia blieb klar, und er
     wollte sie, diese einzige Realität, gern berühren. Aber er konnte es nicht. Er hatte keine Hände. Er hatte überhaupt nichts.
     Wie der Unsichtbare bei H. G. Wells bestand er aus Leere, mit Verbänden umwickelt.
    Am Morgen kam Schwester Katja mit dem Frühstück. Tee mit Milch, Haferflocken, Joghurt. Sergej begann zu essen, und Katja setzte
     sich auf den Stuhl gegenüber.
    Als er den Tee ausgetrunken hatte, stand sie auf und stellte sich geheimnisvoll lächelnd vor ihn.
    »Bist du satt?«, fragte sie und schob das Tischchen beiseite.
    »Ja, danke.« Sergej nickte.
    Sie nahm eine Nagelschere aus ihrer Kitteltasche, schnitt rasch wie ein Zauberkünstler den Verband hinten auf und nahm ihn
     ab.
    »Aber bitte nicht in Ohnmacht fallen«, sagte sie schnell und reichte ihm einen kleinen runden Spiegel.
    Im ersten Moment kam ihm sein Gesicht vor wie eine blaurosa faule Kartoffel. Ein scheußlicher Anblick.
    »Na, was sagst du?«, fragte Katja und sah ihn an, als habe sie ihm ein unglaubliches Geschenk gemacht, teuer und vollkommen
     unverdient.
    »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich jetzt wahrscheinlich einen Herzschlag kriegen und sterben«, antwortete Sergej und warf
     den Spiegel aufs Bett.
    »Moment, das verstehst du falsch, das verheilt bald, die Schwellungen gehen wieder weg. Aber sieh doch mal, was für eine gerade,
     männliche Nase du jetzt hast. Und die Ohren? Du hattest schließlich Segelohren.«
    »Ach so, ihr betreibt hier also eine geheime Ehevermittlung. Das hättet ihr gleich sagen sollen.« Sergej drehte sich um und
     starrte aus dem Fenster.
    »Red keinen Blödsinn«, erwiderte Katja ärgerlich, »du weißt genau, dass du bald ganz normal aussehen wirst. Die Ärztin, die
     dich operiert hat, ist eine tolle Spezialistin.«
    »Ja.« Er nickte und sah weiter aus dem Fenster. »Freut mich. Geh bitte raus. Ich muss jetzt allein sein.«
    Allein im Zimmer, griff er nach dem Spiegel und drehte sich zum Licht. Sein Gesicht war voller Narben und noch immer geschwollen,
     doch die Gesichtszüge waren schon zu erkennen. Aus dem Spiegel blickte ihn ein fremder Mann an. Selbst die Augen waren fremd.
     Sergej hasste dieses Gesicht auf Anhieb. Was spielte es für eine Rolle, ob es schön oder hässlich sein würde, wenn die Schwellungen
     zurückgegangen und die Narben verheilt waren? Das fremde Gesicht verhieß ihm absolute, totale Einsamkeit für den Rest seines
     Lebens. Julia hatte also nicht viele Umstände gemacht und einfach etwas Regelmäßiges, absolut Proportionales und Gängiges
     geschaffen, mit kantigem Kinn, gerader Nase, hartem, schmalem Mund und perfekt geformten Ohren.
    Der echte Loginow hatte eine breite Stupsnase gehabt und volle Lippen. Seine großen abstehenden Ohren hatten in der Sonne
     zartrosa geleuchtet. Er begriff auf einmal, wie sehr er sein unschönes Gesicht gemocht hatte. An nichts gewöhnt man sich so
     sehr wie an sich selbst.
    Der echte, unattraktive Loginow betrachtete das vorzügliche, schöne Werk der plastischen Chirurgin voller Abscheu, und kaum
     hatte er den Spiegel beiseite gelegt, war das neue Gesicht vergessen. Wahrscheinlich war das auch beabsichtigt. Diesem Gesicht
     konnte man in der Menge hundertmal begegnen, ohne es wiederzuerkennen. Niemand würde ihn mehr erkennen. Niemand.
    Und Mama?
    Zum ersten Mal gestattete er sich, an

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