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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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nachdenklich aus dem
     Fenster. Er konnte nicht lesen, nichtfernsehen, nicht an den warmen Abenden die wunderschöne Küste entlangspazieren. Er aß kaum, er hatte keinen Appetit. Er spürte
     ständig einen seltsamen Geschmack im Mund – nach bitter-salzigem Gummi oder etwas Ähnlichem. Und diesen Geschmack nahm alles
     an, was er aß, ob Pfirsiche oder gebackene Bananen.
    Als er von der Waage stieg, rutschte er aus. Die flauschige Matte glitt unter seinem Fuß weg. Er griff nach dem Wannenrand,
     machte eine ungeschickte Drehung und hätte beinahe aufgeschrien. Es fühlte sich an, als sei in ihm eine Splittergranate explodiert.
     Mit kaltem Schweiß überströmt, sank er auf den Boden, krümmte sich, umklammerte die zitternden Knie mit den Armen und wiegte
     sich hin und her, bis der Schmerz ein wenig nachließ. Dann stand er vorsichtig auf, öffnete den Spiegelschrank und suchte
     nach einem kleinen Plastikdöschen ohne Etikett. Es enthielt große gelbe Tabletten. Er schob sich gleich zwei Stück in den
     Mund und zerkaute sie, ohne etwas nachzutrinken und ohne sich an dem bitteren Geschmack zu stören.
     
    An einen stachligen Strauch geklammert, hielt sich Stas mühsam auf dem steilen Abhang. Einige Meter entfernt schlängelte sich
     ein schmaler, kaum sichtbarer Pfad. Schwer vorzustellen, dass hier jemand langkam. Stas hangelte sich hinauf und erblickte
     dicht vor sich die Kabine des Tankwagens. Trotz der Sonnenreflexe konnte er das Gesicht des Fahrers und das seiner Begleiterin
     erkennen. Gut, dass er sich noch an einem dicken Ölbaumast festhalten konnte, sonst wäre er wohl kopfüber in den Abgrund gefallen,
     denn neben einem bärtigen Griechen saß eine hellblonde, schwarzäugige Frau, schön wie ein Fotomodell, die er sehr gut kannte.
    Mit einer für ein solches Ungetüm unglaublichen Wendigkeit passierte der Tankwagen die gefährliche Kurve,hüllte Stas im Vorbeifahren in eine Wolke von heißem Benzindunst und raste weiter.
    »Sir, sind Sie okay?«, hörte Stas durch das Motorengeheul und das Dröhnen in seinen Ohren hindurch jemanden fragen. »Brauchen
     Sie Hilfe?«
    Neben ihm stand der Alte aus dem Café, und über die Straße kamen noch andere Griechen.
    »Konnten Sie die Nummer erkennen?«, fragte der Alte und sah ihm in die Augen. »Das müssen Sie der Polizei melden.«
    Stas wurde untergehakt und zurück ins Café geführt. Die Frau des Inhabers und weitere alte Frauen kümmerten sich um ihn –
     nahmen ihm den Helm ab und wedelten mit einer Zeitung vor seinem Gesicht herum. Er leerte in einem Zug das Glas Metaxa, das
     eine runzlige Hand ihm hingestellt hatte, suchte nach seinem Telefon und konnte es eine ganze Weile nicht vom Gürtel lösen.
    »Die Polizei haben wir schon gerufen«, sagte eine der alten Frauen in gebrochenem Englisch.
    »Wieso die Polizei?«, fragte Stas stumpf, schaltete das Telefon ein, wählte die Nummer der Villa seines Vaters und hörte kurz
     darauf den verschlafenen Bass des Bodyguards. Mit sich verheddernder Zunge nannte er Nikolai den Namen des Dorfes und bat
     ihn, so schnell wie möglich zu kommen. Nikolai fragte, was passiert sei, aber darauf antwortete Stas nicht, er konnte gerade
     noch das Telefon abschalten, aufspringen und zur Toilette rennen. Er erbrach sich, lange und qualvoll. Anschließend fühlte
     er sich besser. Er wusch sich mit kaltem Wasser, ging hinaus und setzte sich an einen Tisch.
    »Das kann nicht sein«, sagte er auf Russisch, den Blick auf die gütigen Augen des alten Griechen gerichtet, der zu ihm getreten
     war und anteilnehmend den Kopf neigte.
    »Was?«, fragte Spiros auf Englisch. »Noch einen Metaxa? Wasser? Kaffee?«
    »Ich hab einfach Hallus«, erklärte Stas ganz ruhig, »erstens weiß kein Mensch, dass ich hier bin. Zweitens wollen sie mich
     doch gar nicht mehr umbringen. Drittens hab ich eine Menge Shit geraucht und gestern noch Ecstasy genommen. Ganz klar, ich
     hab Hallus.«
    »Entschuldigen Sie, Sir, was ist das für eine Sprache?« Der alte Grieche lächelte beunruhigt.
    In der Ferne ertönte das dünne Jaulen einer Polizeisirene. Stas schloss die Augen und lehnte sich in den Plastikstuhl zurück.
     Er wünschte sich nichts so sehr, wie in Ruhe gelassen zu werden.
    Alle schienen sich direkt verabredet zu haben, ihn ständig an den Alptraum zu erinnern, den er in Moskau hatte erleben müssen.
     Er verließ jeden Morgen das Haus, fuhr mit seinem Motorrad auf der Insel herum und kam spätabends nach Hause, in der Hoffnung,
    

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