Der falsche Engel
einem schlanken Mädchen mit langem, platinblondem Haar die Hand. Sie trug enge ausgewaschene
Shorts und ein T-Shirt. Der heftige Wind zerrte sofort an ihrem Haar.
»Ich geh kurz was trinken«, sagte der Bärtige mit Bassstimme auf Russisch, gab dem Mädchen den Autoschlüssel und verschwand
in einem kleinen Café.
Das Mädchen lief leichtfüßig hinunter zum Strand. Dort schliefen in der prallen Sonne auf Strohmatten Arm in Arm ein Mann
und eine Frau.
»Mikos!«, rief das Mädchen laut. Die beiden sprangen auf und sahen sich beunruhigt um.
Der Mann ging zu dem Mädchen, seine Freundin blieb auf der Strohmatte sitzen.
»Hallo, Mikos. Wie könnt ihr in dieser Sonne schlafen? Habt ihr keine Angst vor Sonnenbrand?«, fragte das Mädchen auf Englisch,
als er näher gekommen war.
»Wir sind unter dieser Sonne aufgewachsen«, entgegnete der Mann, »wir bekommen keinen Sonnenbrand. Aber du, Ireen, solltest
vorsichtig sein. Mit deiner zarten weißen Haut.« Er sah das Mädchen mit unverhohlener Bewunderung an und bleckte die tadellosen
weißen Zähne. »Ich hab euch nicht so früh erwartet. Ich dachte, ihr wollt bis nachts mit meiner Kiste rumfahren.«
»Das nächste Mal, Mikos, da nehmen wir deine Kiste auf jeden Fall für die ganze Nacht«, antwortete das Mädchen lächelnd.
Sie holte mehrere grüne Geldscheine aus ihrer Handtasche und reichte sie dem Griechen.
»Danke, Ireen.« Er nickte. »Wenn du mal wieder Lust hast auf eine Spritztour, und dein Freund hat keine Zeit, dann leiste
ich dir gern Gesellschaft.«
»Wirklich? Ich überleg es mir. Hier, eh ichs vergesse – die Autoschlüssel.«
»Danke. Ich hoffe, ihr habt keine Abenteuer erlebt? Keine Begegnung mit der Verkehrspolizei?«
»Du hast doch selber gesagt, dass es die bei euch praktisch nicht gibt.« Das Mädchen warf das Haar zurück. »Auf euren Bergstraßen
fährt man zwangsläufig vorsichtig, auch ohne Polizei. Na schön, Mikos, geh wieder zu deiner Frau. So, wie sie uns ansieht,
fürchte ich um deinen ehelichen Frieden. Machs gut, mein Lieber. Wir sehen uns noch.«
Leichtfüßig kletterte sie wieder hinauf zur Chaussee.
Mikos sah ihr mit zusammengekniffenen Augen lange nach, dann zählte er das Geld, schob einen Schein in seine Badehose, ging
zurück zu seiner Frau, setzte sich neben sie auf die Strohmatte und gab ihr die übrigen drei Scheine.
»Was ist das?«, fragte die füllige Griechin ihren Mann drohend und durchbohrte ihn mit einem brennenden schwarzen Blick.
»Dreihundert Dollar.« Mikos lächelte. »Die hab ich in nur fünf Stunden verdient, ohne etwas zu tun.«
»Dieses Mädchen gefällt mir nicht. Wer ist sie? Wo hast du sie kennengelernt?«
»Sie ist Französin. Eine verrückte reiche Urlauberin. Sie hat mich gestern an der Tankstelle angesprochen und gefragt, ob
ich ihr nicht für einen Tag meinen Tankwagen leihen kann.«
»Und du Vollidiot hast sofort zugesagt?«
»Nicht sofort. Erst einmal habe ich einen sehr hohen Preis genannt. Dreihundert Dollar. Ich dachte, das würde sie abschrecken,
aber sie hat nicht mal versucht zu handeln.«
»Nein? Dann ist sie keine Französin. Franzosen sind furchtbar geizig.«
»Mein Gott, Elena, was schert es uns, wer sie ist? Überleg lieber, was wir mit dem Geld machen wollen. Zur Bank bringen oder
endlich eine neue Waschmaschine kaufen?«
»Ich weiß nicht, Mikos. Das ist kein gutes Geld. Ich andeiner Stelle würde erst mal nachsehen, ob mit dem Auto alles in Ordnung ist.« Elena stand auf und lief vorsichtig über die
Steine zum Meer. Am Wasser drehte sie sich noch einmal um und rief: »Geh und überprüf das Auto und auch gleich die Dollars.
Vielleicht sind sie ja falsch?«
»Ich bin kein Idiot«, knurrte Mikos und streckte sich genüsslich auf der Strohmatte aus. »Wenn ich ein Idiot wäre, hätte ich
dir nicht dreihundert gegeben, sondern die ganzen fünfhundert, und nicht daran gedacht, mir den Pass der schönen Ireen zeigen
zu lassen. Mag sein, dass sie keine Französin ist, aber sie hat einen französischen Pass. Ich hab mir für alle Fälle ihren
Namen und die Passnummer gemerkt.«
Das Mädchen mit dem platinblonden Haar ging in das kleine Café neben der Tankstelle und setzte sich an einen Tisch, ihrem
bärtigen Begleiter gegenüber.
»Bitte einen frischgepressten Orangensaft und einen Espresso«, sagte sie zum Kellner, holte eine Schachtel Zigaretten hervor
und zündete sich eine an.
»Erklär mir doch mal«, sagte der Bärtige,
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