Der falsche Engel
Nachfüllflasche und Feuersteinen.
»Danke.« Sergej lächelte erstaunt.
»Bitte. Das ist reines Silber. Sie lieben nämlich teure Kleinigkeiten. An Ihrem Handgelenk ist nichts anderes denkbar als
eine Rolex. Ihre Brieftasche ist mindestens von Petek, Ihre Schuhe sind von Daniel Hechter, echtes Nappaleder, auf keinen
Fall Kunstleder. Sie schreiben natürlich mit einem Parker, und zwar mit Goldfeder. Na, keine Sorge, das alles werden Sie in
Ihrer Wohnung vorfinden.«
»In meiner Wohnung? Habe ich denn meine geliebten teuren Dinge nicht mit nach Griechenland genommen?«
»Natürlich haben Sie das.« Raiski lachte. »Aber glauben Sie, Sie besäßen nur eine Uhr, nur eine Brieftasche und ein Paar Schuhe?
Welches Rasierwasser benutzen Sie?«
»Äh … Wie hieß das gleich?« Sergej knackte nervös mit den Fingern. »Irgendwas mit ›Tsch‹. Nein, ich habs vergessen.«
»Gucci.« Raiski lächelte. »Solche Dinge sollten Sie sich merken.«
»Sagen Sie, interessiere ich mich denn außer für Petek, Daniel Hechter und Gucci für gar nichts?«
»Wie?«
»Weiß ich, dass Schamil Ismailow hinter mir her ist?«
»Ja und nein. Man hat Sie mit dieser Hypothese konfrontiert, aber Sie nehmen sie nicht an, Sie begreifen wirklich nicht, was
Sie sich dem Tschetschenen gegenüber haben zuschulden kommen lassen. Sie erinnern sich nicht, wasSie wem über die Sängerin erzählt haben, obwohl mindestens fünf Leute mit Vergnügen verbreiten, dass Sie sich über die sexuellen
Nachstellungen der Sängerin beklagt hätten und über ihre Versuche, Sie mit Hilfe von Ecstasy-Pillen zu verführen.«
»Mal im Ernst, habe ich irgendwelche eigenen Gedanken, Vermutungen, wer mich umbringen will und warum?«
»Natürlich haben Sie eine eigene Hypothese, Sie haben sogar eine kleine Ermittlung unternommen, was Ihnen niemand zugetraut
hätte. Ihnen kam der Verdacht, dass Ihr ehemaliger Kommilitone Juri Michejew Sie verfolgen könnte. Eine gewisse Logik hatte
diese Überlegung immerhin. Michejew wurde 1985 nach Paragraph 105-1, vorsätzlicher Mord, zu zehn Jahren Haft verurteilt. Michejew
hat ein Mädchen getötet, eine gemeinsame Kommilitonin von Ihnen beiden, Maria Demidowa. Der Tathergang war offensichtlich,
Michejews Schuld vollständig erwiesen. Aber viele hielten das Urteil für zu streng. Man hätte ebenso gut Paragraph 109 anwenden
können – fahrlässige Tötung. Doch Michejew trat vor Gericht derartig provokant auf, dass er sich selbst reinritt. Zudem war
Mascha Demidowa die einzige Tochter eines hohen Beamten im Außenministerium, die Eltern verlangten strengste Bestrafung des
Mörders, jedenfalls konnte der Anwalt Michejew nicht helfen. Diese Geschichte hat für ziemliche Aufregung am Institut gesorgt,
besonders in Ihrem und Michejews Studienjahr. Einige meinten, Grund für den Mord sei Ihre Affäre mit Mascha gewesen. Michejew
war seit dem ersten Studienjahr heftig verliebt in sie, und Sie konnten schon damals an keinem hübschen Gesicht vorbeigehen.«
»Und nun glaube ich, Michejew ist aus der Haft entlassen und will mit mir abrechnen?« murmelte Sergej unsicher.
»Ja, genau. Sie haben Ihren ehemaligen Kommilitonen ausfindig gemacht, sich mit ihm getroffen und sich davonüberzeugt, dass Sie recht haben. Michejew ist ein notorischer Trinker und ein Psychopath. Er gibt Ihnen die Schuld an all
seinem Unglück. Im Delirium hat er einen Sprengsatz an Ihrem Auto angebracht. Doch dann hat er es sich anders überlegt, er
wollte Sie nicht mehr gleich umbringen, sondern vorher noch ein bisschen quälen, deshalb hat er Ihre Kreditkarte gesperrt,
Ihren Chauffeur Sawjalow getötet und die Mordwaffe in der Wohnung von Evelina Derjabina versteckt. Na, was sehen Sie mich
so an, Major?« Raiski lachte mit gebleckten Zähnen. »Selbstverständlich haben wir das alles gründlich überprüft. In der Wohnung,
in der Sie sich mit Michejew getroffen haben, wohnt niemand, das Haus ist baufällig, und die Telefonnummer, unter der Sie
seine jüngere Schwester Irina angerufen haben, gehört einem Bestattungsinstitut.«
Sergej räusperte sich verlegen. »Entschuldigen Sie, das verstehe ich nicht.«
»Tja, wir auch nicht.« Raiski wurde ernst. »Wir verstehen Sie absolut nicht, Stanislaw. Juri Michejew ist nämlich vor fünf
Jahren in einem Krankenhaus in Archangelsk an offener Tuberkulose gestorben, und seine Schwester Irina, die Sie zu der falschen
Adresse geschickt hat, ist zusammen mit ihren Eltern vor
Weitere Kostenlose Bücher